Wolf in der Schweiz

Warum wir immer noch Angst vor Wölfen haben

· Online seit 02.03.2023, 06:32 Uhr
Es gibt wieder vermehrt Wölfe in der Schweiz. Dabei hatte man die Wildtiere im 19. Jahrhundert ausgerottet. Sie galten im Jagdbereich als wahre Konkurrenten, daneben ging auch eine Angst vor dem Raubtier um. Warum der Mensch dem Wolf nicht traut, erklären zwei Experten.
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Von einem wild lebenden Wolf geht keine Gefahr für den Menschen aus. Denn Wölfe sind von Natur aus eher vorsichtige und scheue Tiere, welche die Begegnungen mit Menschen doch eher meiden. In den letzten Jahren haben sich aber immer mehr Wölfe in die Siedlungsgebiete der Menschen gewagt und Schafe oder andere Nutztiere gerissen. Am Dienstag hatte die Aargauer Jagdverwaltung über einen möglichen Wolfsriss informiert. Ebenso sind ennet der Schweizer Grenze kürzlich zwei Wölfe in eine Fotofalle getappt und in Graubünden will das Parlament per sofort ein ganzes Wolfsrudel auslöschen – inklusive der Welpen.

Anzahl der Wolfsrudel in der Schweiz steigt

Nach ihrer Ausrottung sind die Wölfe in der Schweiz erstmals wieder 1996 eingewandert. Mit nur wenigen Ausnahmen kommen alle Wölfe aus der italienischen und der Alpenpopulation. Infolge der grossen Wanderungen und Mobilität geht die Stiftung KORA davon aus, dass auch künftig weitere Wölfe in die Schweiz einwandern. Bis Ende Januar ist die Anzahl der Wolfsrudel auf 18 Schweizer und fünf grenzüberschreitende Tiere angewachsen, wie auch die untenstehende Grafik zeigt.

Ist der stets wachsende Bestand in der Schweiz also ein Grund zum Fürchten? Zwei Historiker erklären, warum der Mensch dem Wolf nicht traut. «Die Märchen und auch kulturellen Verbindungen sind sicherlich ein Faktor, warum der Mensch Angst vor dem Wolf hat», sagt Simon Teuscher, Professor für Geschichte des Mittelalters an der Universität Zürich. Die Angst war stets präsent. «Der Wolf gilt seit Jahrhunderten als direkter Konkurrent des Menschen, vor allem, was die Jagd betrifft. Im Mittelalter war die Jagd ein königliches Vorrecht. Der König hat dieses wiederum seinen Adligen verliehen, die das Privileg nutzten, um Hirsche und Rehe zu jagen.»

Dazu hat sich der natürliche Jagdraum des Wolfes bereits im 13. Jahrhundert drastisch verändert. «Die Bevölkerung der Menschen ist plötzlich angestiegen, Siedlungen wurden gebaut, die Landwirtschaft ist stark gewachsen, der Mensch wanderte zusätzlich in die Alpenregionen, liess sich im Jura nieder, Wälder wurden gerodet und Wolf und Mensch hatten plötzlich mehr Kontakt – nicht nur bei der Jagd.»

Das allgemeine Jagdrecht hat dem Wolf die Grundlage genommen

Darüber hinaus haben die Adligen die Jagd damit gerechtfertigt, dass sie das Land von Raubtieren freihalten würden. «Mit der Demokratisierung der Jagd im 19. Jahrhundert, also nicht nur die Adligen, sondern auch die breite Bevölkerung durften nun jagen, wurde das Wild immer weniger und dem Wolf ging somit die Nahrung verloren», so der Historiker weiter. Dazu kam, dass es im 19. Jahrhundert auch noch mehr Wölfe gab als heute. Unter dem allgemeinen Jagdrecht litten vor allem vermehrt die Bauern, weil der Wolf nun Haus- und Nutztiere riss, um sich zu ernähren.

Die Tollwut war dazu damals ein weitaus grösseres Thema. Sie führte möglicherweise zu sehr problematischen Begegnungen zwischen Menschen und Tieren. Dies konnte die Gesellschaft darin bestärken, wilde Natur stark zu kontrollieren und eben Grossraubtiere wie Wölfe extrem zu bejagen und explizit auch ausrotten zu wollen. «Wölfe wurden systematisch gejagt. Man hat Treibjagden gemacht und die Tiere vergiftet», meint Teuscher.

Kriege und Schlachtfelder beförderten das negative Bild des Wolfs

Im 19. Jahrhundert wurden auch die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm recht populär. Dies verstärkte zusätzlich das negative Bild des Wolfes. Der Wolf wurde nämlich häufig als Bösewicht betrachtet, wie Nikolaus Heinzer von der Universität Zürich erklärt. Heinzer hat sich in der Forschung vor allem auf den gesellschaftlichen Umgang mit dem Wolf der letzten 30 Jahre in Bezug auf die physischen und eingebildeten Grenzen fokussiert. «Der Wolf war in Europa nicht immer nur negativ aufgeladen, gerade in den germanischen und nordischen Kulturen wurde er auch als starkes und stolzes Tier verehrt. Romulus und Remus, die mythischen Gründer Roms, wurden von einer Wölfin gesäugt. Spätestens ab dem Mittelalter wurde der Wolf jedoch immer mehr zum Inbegriff des Bösen und Teuflischen.»

Dazu hatte auch der Dreissigjährige Krieg einen starken Einfluss auf das schlechte «Image» des Wolfes. «Während des Krieges waren viele Nutztierherden, die zuvor behirtet und beschützt worden waren, schutzlos sich selbst überlassen und Wölfe konnten diese leichter reissen», so Heinzer. «Dazu wurden wohl Wölfe immer wieder als Aasfresser auf den Schlachtfeldern gesichtet, was zum Bild des ‹menschenfressenden› Tieres sicherlich beitrug.»

Erst vor etwa 100 Jahren kam zum negativ besetzten Bild auch ein positives dazu. «Vor allem in der Umweltschutzbewegung steht der Wolf für ein intaktes Verhältnis von Mensch und Natur», fügt Heinzer an. «Im Zuge dessen gab und gibt es Neuinterpretationen alter Bilder und Geschichten.» Spielen die alten Bilder vom Wolf auch heute noch eine Rolle? «Zumindest unterschwellig beeinflussen diese sicherlich noch den Umgang mit den Tieren. Die Wahrnehmung anderer Tiere, wie etwa dem Luchs oder Bär, unterscheiden sich vom Wolf dahingehend, weil sie sich zum einen biologisch anders verhalten und zum anderen, weil sie bis heute mit anderen historischen Bildern und einem anderen kulturellen Gedächtnis belegt sind.»

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veröffentlicht: 2. März 2023 06:32
aktualisiert: 2. März 2023 06:32
Quelle: ArgoviaToday

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