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Angeklagte beharrt auf Unschuld – aber Zeuge soll ihr Auto gesehen haben

Des-Alpes-Prozess

Angeklagte beharrt auf Unschuld – aber Zeuge soll ihr Auto gesehen haben

05.12.2022, 17:49 Uhr
· Online seit 05.12.2022, 09:41 Uhr
Vor dem Regionalgericht in Thun hat am Montag der Interlakner Mordprozess begonnen. Die Angeklagte besteht auf ihrer Unschuld und reagiert emotional auf Fragen. Am Nachmittag wird ein Zeuge befragt, der aussagt, dass er das Auto der Angeklagten am Tatabend erkannt habe. Am Mittwoch geht es weiter mit den Plädoyers der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung.

Quelle: BärnToday / Warner Nattiel

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Das Gericht hat entschieden, im Des-Alpes-Prozess keine weiteren Zeugen zu befragen. Die Anträge hatte die Verteidigung während der Vorfragen gestellt. Der Sohn der Angeklagten wird nicht vorgeladen, da man ein Kind nicht in einen Loyalitätskonflikt bringen wolle.

Die Staatsanwaltschaft hat weitere Beweismittel abgegeben. Dabei geht es vor allem um die Telefongespräche zwischen der Angeklagten und ihrem Ex-Freund. Ebenfalls fordert die Anklage, dass die Aufnahme einer Testfahrt der Polizei mit dem Cadillac der Angeklagten gezeigt wird. Auf dieser soll das Geräusch des defekten Klimakompressors hörbar sein. Der Richter will sich die Tonaufnahme anhören: «Es macht Sinn, dass wir den akustischen Eindruck haben.»

Die Angeklagte, die bestreitet, am Tatabend mit dem Auto unterwegs gewesen zu sein, bringt sich in die Beweisführung ein und behauptet, dass das heulende Geräusch nicht in einer Kurve entstanden sein könne. Auch ein Video der Verteidigung, das zuvor verschollen war, wird gezeigt. Es soll beweisen, dass bei Dunkelheit die Details eines Autos nicht erkennbar sind.

Zeuge: «Habe das Auto erkannt»

Ein Zeuge will von einer Tankstelle aus beobachtet haben, wie die Angeklagte von Interlaken zurück nach Hause fuhr. Nicht nur er soll das Auto gesehen haben, sondern auch dessen Kollege. Der Zeuge war mit zwei weiteren Personen am 18. Oktober 2020 an der Tankstelle gestanden. Auch sein Kollege habe eine Aussage gemacht. «Ich habe mit ihm darüber geredet, er ist eigenständig zur Polizei gegangen.» Als der Zeuge behauptet, im Anschluss daran nicht mit diesem Kollegen über die Aussagen gesprochen zu haben, regt sich die Angeklagte sichtlich auf.

Durch ein Geräusch, das von einem defekten Klimakompressor des Autos gekommen sei, sei er auf den Wagen aufmerksam geworden. Dann habe er einen Cadillac gesehen: «Weil ich das Geräusch gehört habe, habe ich mich umgedreht und anhand der Farbe das Auto erkannt.» Er führt aus: «Das Auto gibt es nicht so oft in der Gegend.» Er habe es identifizieren können, da er das Auto in seiner Garage prüfungsreif gemacht habe, so der Zeuge.

Zwischen der Tat und der Aussage des Zeugen bei der Polizei waren bereits mehrere Presseartikel erschienen, die das Auto der Angeklagten mit Nummernschild zeigten. «Haben Sie tatsächlich diesen Wagen gehört und gesehen oder haben Sie nur aus den Artikeln geschlossen, dass es das Auto der Angeklagten ist?» Der Zeuge antwortet deutlich: «Ich habe das Auto gesehen und erkannt.» Auf Nachfrage des Richters stellt der Befragte nochmals klar: «Es war auf jeden Fall ein Cadillac.» Der Zeuge ist sich «relativ sicher», dass es das Auto der Angeklagten war. Ob sie am Steuer sass, könne er jedoch nicht sagen.

Angeklagte beharrt auf Unschuld

Die Angeklagte und Ehefrau des Opfers, des Wirten des Restaurant Des Alpes in Interlaken, beharrt auf ihrer Unschuld. Immer wieder führt sie aus, warum sie den Mord nicht begangen habe. Sie betont immer wieder, dass Freiheit und Respekt in der Beziehung vorhanden gewesen seien: «Wir haben einander vertraut.»

Bei der weiteren Befragung wird deutlich, wie aufgeregt die Angeklagte ist: Sie redet viel, teilweise ohne Pausen, und reagiert manchmal sehr ungehalten auf Fragen. In ihrer Verteidigung wird sie zeitweise sehr emotional. Mal scheint sie fast zu weinen, mal unterbricht sie wütend die Staatsanwaltschaft. Einmal fragt die Angeklagte: «Jemand bringt meinen Mann um und ich muss die Schuldige sein? Wieso? Weil ich Brasilianerin bin? Weil ich Boxerin bin?»

Als sie zum Tag des Tötungsdelikts befragt wird, kann sie ihren Tagesablauf schildern, auch wenn sie laut eigener Aussage Mühe hat, sich zu erinnern. Was den Abend betrifft, stellt sie jedoch klar: «Ich bin nicht mehr weggegangen.» Sie versucht darzulegen, wie die Schilderung der Anklageschrift, dass ihr zu einem bestimmten Zeitpunkt aufgenommen und gesehen wurde, nicht zutreffe. Und fügt hinzu: «Ich wohne in einer Bauerngegend, da haben viele grosse Autos.»

Laut Anklageschrift habe die Angeklagte dem Opfer bewusst verheimlicht, noch einen Schlüssel zu dessen Wohnung zu besitzen. Sie soll sich damit Zugang verschafft haben. Sie sagt aus, dass sie nie gesagt habe, dass sie den Schlüssel verloren hätte, und dass ihr Mann nie danach gefragt habe. Ihr Sohn hätte selbstständig im Restaurant Des Alpes nach dem Schlüssel gefragt, da sie jeweils direkt zu ihren Hühnern hinter dem Gebäude gegangen sei.

«Ich wollte ein Kind von ihm»

Die Ferien, die das Opfer, die Angeklagte und ihr damals siebenjähriger Sohn in Estavayer-le-Lac verbracht hatten, werden immer wieder zur Sprache gebracht. Der Streit, der dazu geführt hat, dass die Angeklagte und ihr Sohn den Ferienort vorzeitig verliessen, sei auf ein banales «Finger weg von meinem Handy» zurückzuführen, wie die Angeklagte aussagt. Sie  dementiert aber, dass der Streit gravierend war. «Ich kannte meinen Mann, dass er diese Art hat. Wenn er sagte ‹geh›, dann bin ich gegangen.»

Für sie ist klar, dass der Streit nicht das Ende der Beziehung bedeutet habe. «Ich wollte ein Kind von ihm.» Vom Gericht wird sie zur Aussage ihres Sohnes, der von Scheidung spricht, befragt. Sie stellt klar, dass sie das Wort nie erwähnt habe, und dass der Sohn dies wohl aus den Umständen geschlossen habe. Die Angeklagte wirkt in die Ecke gedrängt, als die Staatsanwältin sie zu einer Beziehung mit ihrem Ex-Freund befragt. Die Frau bestreitet, eine Affäre gehabt zu haben.

Die Blutspritzer an ihren Schuhen – die laut Anklageschrift von der Tat stammen – erklärt sie durch eine Beinverletzung, die sich das Opfer in den gemeinsamen Ferien einige Wochen zuvor zugezogen habe. Auch am Shirt ihres Sohnes habe es Blutspuren gegeben. Auch ein Foto aus den Ferien zeigt, wie sie ebendiese Schuhe, die als Beweismaterial gelten, in den Ferien trägt.

Quelle: BärnToday / Warner Nattiel

Verteidigung will mehrere Zeugen vorladen

In seinen Ausführungen deutete der Verteidiger an, es gebe Zeugen, die von personalrechtlichen Streitigkeiten im Restaurant des getöteten Wirts wüssten. Sie könnten bestätigen, dass im Restaurant «merkwürdige Typen» aufgetaucht seien, wohl um Lohnforderungen einzutreiben. Ausserdem sollten unter anderem der Sohn, der Hausarzt und Nachbarn der Angeklagten als Zeugen befragt werden. Die Staatsanwältin verlangte die Abweisung der Anträge, worauf die Angeklagte lautstark und impulsiv heftige Kritik äusserte und vom Gerichtspräsidenten zur Räson gebracht werden musste.

Das Interesse am Gerichtsprozess zum Tötungsdelikt in Interlaken ist gross. Das Publikum musste auf 30 Personen limitiert werden. Die Angeklagte, die Witwe des getöteten Interlakner Wirtes, ist vor Ort. Vor ihrer Befragung wirkt sie ruhig und gefasst. Sie betont mehrmals, dass sie sich auf diesen Moment gefreut habe und bereit sei, Fragen zu beantworten.

(sda/ade)

veröffentlicht: 5. Dezember 2022 09:41
aktualisiert: 5. Dezember 2022 17:49
Quelle: BärnToday

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