Work-Life-Balance

Hat die Viertagewoche in der Schweiz Zukunft?

11.02.2023, 16:11 Uhr
· Online seit 10.02.2023, 05:40 Uhr
Im Rahmen einer Interview-basierten Umfrage hat die Berner Fachhochschule sechs Unternehmen befragt, die ihre Arbeitswochen bei gleichbleibendem Lohn um einen Tag verkürzt haben. Wie die Ergebnisse ausgefallen sind, verrät BFH-Dozentin Caroline Straub.
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Pro Woche einen Tag weniger arbeiten – bei gleichbleibendem Lohn? Was hierzulande nach Wunschdenken klingt, ist in Island bereits seit fast zwei Jahren Realität. Nach mehrjährigem Testverfahren stellte die Insel im Juli 2021 offiziell auf eine Viertagewoche mit 35 Arbeitsstunden pro Woche um. Das neue System kommt an: Studien berichten von zufriedeneren Arbeitnehmenden, weniger Burnouts und einer gesünderen Work-Life-Balance.

Hat dieses Modell auch in der Schweiz eine Zukunft? Caroline Straub, Professorin für Personalmanagement am Institut New Work der Berner Fachhochschule (BFH) hat im Rahmen eines internen Forschungsprojekts sechs Schweizer Unternehmen, die die Viertagewoche bereits eingeführt haben, befragt. Die Erkenntnisse? «Unsere Interviews haben gezeigt, dass die befragten Unternehmen durchgehend positive Erfahrungen sammeln konnten – und auch am Konzept der Viertagewoche festhalten.»

Mit weniger Arbeitszeit das gleiche Ziel erreichen

Unter die Lupe genommen wurden Firmen aus unterschiedlichsten Branchen: «Wir haben unter anderem ein Coiffeur-Unternehmen, eine Webdesign-Agentur und eine Ofenbauer-Firma befragt», verrät Straub. Es handle sich um kleine bis mittelgrosse Unternehmen. Zu ihren Erfahrungen mit der Einführung der Viertagewoche wurden Personen aus den Geschäftsführungen sowie HR-Fachpersonen befragt. «Aus den Interviews, die wir mit ihnen geführt haben, hört man heraus, dass die Mitarbeitenden des Unternehmens morgen ausgeruhter und zufriedener bei der Arbeit erscheinen. Sie sind motivierter, daher leistungsfähiger und auch eher bereit, sich länger an ihre Firma zu binden», bilanziert Straub.

Besonders spannend: Einige der befragten Unternehmen hatten vor der Einführung auf die Viertagewoche Zweifel, ob die Umstellung gelingt. Dabei beschäftigte insbesondere die Frage, ob Kundenbedürfnisse weiterhin gedeckt werden können. Im Rahmen der Implementierung der Viertagewoche hätten sie jedoch ineffiziente Prozesse und Leerläufe aufgedeckt, erzählt Straub. «So konnten viele Schwachstellen ausgemerzt und Prozesse optimiert werden. Kurz: Mit weniger Arbeitszeit kann das gleiche Ziel erreicht werden – ohne dass die Leute gestresster sind.»

Viertagewoche beschäftigt Generation Z

Gab es auch negative Reaktionen auf die Einführung der Viertagewoche? «Eine Person sagte mir, sie ärgere sich, die Viertagewoche nicht schon früher eingeführt zu haben. Das war eigentlich der Konsens von allen sechs Unternehmen, die wir interviewt haben», sagt Straub. Natürlich sei die Umstellung auch mit gewissen Ängsten verbunden gewesen. Aber: «Die Befragten waren sich einig, dass die Gewinne, die durch eine Viertagewoche entstehen, die Kosten bei weitem überwiegen.»

Insbesondere jüngere Generationen zeigten grosses Interesse an der verkürzten Arbeitswoche, verrät Straub. «Wir sind als Institut New Work auf das Thema aufgesprungen, da unsere Studierenden diesbezüglich oft auf uns zukommen. Das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben beschäftigt.» Junge Menschen – insbesondere die Generation Z – wolle gesünder arbeiten, so Straub. Und das aus gutem Grund.

Die Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz erhebt alle zwei Jahre den Job-Stress-Index. Die Ergebnisse von 2022 zeigten, dass der Stress bei der Arbeit zwar auf hohem Niveau stabil bleibt, die emotionale Belastung aber weiterhin ansteigt: 30,3 Prozent der Erwerbstätigen fühlten sich 2022 emotional erschöpft. Dies hat Konsequenzen für Unternehmen: Sind Mitarbeitende im Stress, kann dies zu Abwesenheit aufgrund von Krankheit oder Anwesenheit trotz eingeschränkter Leistungsfähigkeit führen. Dadurch entstehen den Unternehmen durchschnittliche Produktivitätsverluste von 14,9 Prozent der Arbeitszeit.

SP-Nationalrätin Funiciello setzt sich für 35-Stunden-Woche ein

Ist die Viertagewoche also die Lösung für Unternehmen und Mitarbeitende? Die Meinungen gehen auseinander. Wer für eine Verkürzung der Arbeitszeit kämpft, ist die Berner Nationalrätin Tamara Funiciello. Die Sozialdemokratin forderte den Bundesrat Ende 2021 in einer Motion auf, die Erwerbsarbeitszeit innert zehn Jahren auf maximal 35 Stunden pro Woche zu verkürzen – bei vollem Lohnausgleich für tiefe und mittlere Löhne. Dies würde sich nicht nur positiv auf die Gesundheit von Mitarbeitenden auswirken, sondern würde auch den Individualverkehr – und damit den CO2-Ausstoss – reduzieren.

Der Bundesrat beantragte am 16. Februar 2022 die Ablehnung der Motion. Die Arbeitszeit in der Schweiz sei bereits rückläufig, schreibt er in seiner Antwort. Zudem: «Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die Entscheidung, wie allgemeine Produktivitätsgewinne den Arbeitnehmenden zu Gute kommen sollen, (...), zwischen den Vertragspartnern auszuhandeln ist». National- und Ständerat haben Funiciellos Vorstoss noch nicht diskutiert.

Allen politischen Diskussionen zum Trotz sagt Caroline Straub: «Unsere befragten Unternehmen haben mit der Einführung der Viertagewoche ähnliche positive Erfahrungen wie beispielsweise in Island gemacht. Daher sollte man diese auch in der Schweiz als Option im Auge behalten.»

Die Interview-basierte Umfrage der BFH fand im Frühling 2022 statt. Im nächsten Schritt werden die Ergebnisse zur Einführung der Viertagewoche im Rahmen eines grösseren Forschungsprojekts auf Mitarbeitende und Unternehmen während eines längeren Zeitraums vertieft und überprüft.

Wie findest du die Idee der Viertagewoche? Diskutiere in den Kommentaren.

veröffentlicht: 10. Februar 2023 05:40
aktualisiert: 11. Februar 2023 16:11
Quelle: BärnToday

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