Nach Reformhaus-Schock

Lohnt sich Bio noch? So geht es kleinen regionalen Läden

· Online seit 04.01.2023, 11:54 Uhr
Das Müller-Reformhaus stand nicht alleine da: Nach einem Boom im ersten Coronajahr verzeichnen viele Läden, die auf biologische und nachhaltige Produkte spezialisiert sind, rückläufige Zahlen. Von der Schliessung der fast 40 Reformhaus-Filialen dürften sie aber profitieren.
Anzeige

Am Dienstag kündigte die Reformhaus-Kette überraschend die Schliessung all ihrer Schweizer Filialen an. Schweizweit sind 37 Standorte betroffen, fast 300 Mitarbeitende verlieren ihre Arbeitsstelle. Die Reformhaus-Kette hat sieben Filialen im Kanton Bern betrieben, sechs davon in und um die Stadt Bern, eine in Thun. Als Gründe wurden Umsatzeinbrüche angegeben, immer wieder sei man mit Aussagen konfrontiert worden, dass das Angebot zu teuer sei. Wir haben bei anderen Läden mit Fokus auf Bio-Produkte und Nachhaltigkeit nachgefragt. Die verschiedenen Filialen kenne diese Problematiken und Kritikpunkte ebenfalls, aber alle könnten vom Aus des Traditionsbetriebs profitieren.

Hallerladen in Bern GZD

Der Hallerladen in Bern ist einer der vielen Quartierläden, die während der Coronazeit ein Hoch erlebten. «2020 war für uns ein überragendes Jahr», sagt Doris Eggenberger vom Hallerladen. «Man wusste aber, dass es eine Ausnahmesituation ist und es wieder auf einen normalen Wert zurückgehen wird.» Aktuell verzeichnet man beim Hallerladen nun wieder einen Umsatzrückgang. Auch im Hallerladen müsse man Abläufe anpassen und optimieren, so Eggenberger. Doch sie ergänzt: «Im Grossen und Ganzen stehen wir im Vergleich zu anderen Bio-Läden solid da».

Grossverteiler wie Migros und Coop sieht man beim Hallerladen nicht als grosse Konkurrenz. «Wir haben viele Werte, die für uns sprechen und die den Leuten, die bei uns einkaufen, wichtig sind», sagt Eggenberger. Auch die Preisunterschiede würden nicht so oft kritisiert: «Wenn bei uns ein Nüsslisalat mehr kostet als beim Grossverteiler, merkt man auch einen Unterschied. Dafür sind Leute bereit, mehr zu zahlen. Bei Produkten wie Butter, Milch etc. ist es schwieriger, die Preisunterschiede zu begründen. Da sind wir als kleiner Laden im Nachteil in Bezug auf die Einkaufsmengen.»

Die Schliessung der Reformhaus-Filialen sei traurig, da viele Mitarbeitende ihre Jobs verlieren, so Eggenberger. «Auf der anderen Seite werden wir sicher auch davon profitieren.» Schon jetzt bemerke man beim Hallerladen eine Zunahme von Anfragen.

Lola-Läden in Bern

In Bern betreibt die Stiftung Contact zwei Lola-Läden, welche sich auf Bioprodukte, Unverpacktes und vegane Produkte spezialisieren. Der zuständige Bereichsleiter der Stiftung Contact, Roberto Carnibella, bedauert die Schliessung der Reformhaus-Filialen: «Es überrascht mich, dass ein so grosser Anbieter von heute auf morgen aufhören muss.»

Auch in den Lola-Läden bemerke man einen Umsatzrückgang, wie Carnibella sagt: «Im ersten Pandemiejahr hatten wir ein überdurchschnittlich gutes Jahr, aber seither gehen die Zahlen kontinuierlich zurück.» Den Lola-Läden gehe es aber noch einigermassen gut, so Roberto Carnibella. Gründe dafür sieht er im Online-Shop und der Lola-Getränkelinie.

Die Konkurrenz durch die Grossverteiler spürte die Stiftung Contact am eigenen Leib: Die Lola-Läden hatten früher einen exklusiven Haferdrink im Angebot. Als die Grossverteiler ebenfalls solche Drinks anboten, seien die Absätze «dramatisch» eingebrochen. «Man muss immer am Ball bleiben und schauen, was man anbieten kann, um attraktiv zu bleiben», so der Bereichsleiter.

Auch die Kritik über höhere Preise sei bei Lola nicht unbekannt. «Bioprodukte sind tatsächlich teurer. Das ist ein Fakt, den man nicht wegdiskutieren kann. Uns ist aber auch wichtig, hinter unseren Produzentinnen und Produzenten zu stehen und Produkte anzubieten, die wir 100 Prozent gut finden.» Bei der Stiftung Contact unterstütze man zudem eine übergeordnete Idee, so Carnibella. So richtet sich das Arbeitsangebot von Lola explizit an Menschen mit einer früheren Suchtmittelabhängigkeit. Neben den Produkten zähle auch der Service rundum und die Kultur, die gelebt wird, so Carnibella. «Das sind Argumente, die für uns sprechen.»

Die Müller-Reformhaus-Schliessung könnte für die Lola-Läden aber auch positive Seiten haben: «So sehr wie wir es bedauern, so sehr hoffen wir auch, dass wir für einige Kunden eine Alternative darstellen könnten», so Carnibella. «Aus unserer Sicht wäre es für den Markt gut, wenn auch kleine lokale Anbieter davon profitieren könnten und nicht nur die grossen nationalen Ketten.»

Eva's Apples in Zürich

Seit genau zehn Jahren existiert der vegane Lebensmittelladen Eva's Apples. Im April 2021 haben Wendelin Matawa Keller-Hilfiker und seine Frau Andrea die Marke und den Laden an der Weinbergstrasse in Zürich übernommen. Auch in Bern gab es bis vor Kurzem noch einen Eva's Apples. Dieser wurden allerdings von einer Drittperson übernommen und heisst nun Gaias Garden.

Keller-Hilfiker bestätigt auf Anfrage den Konkurrenzdruck durch die Grossverteiler: «In den vergangenen Jahren haben die grossen Läden mit veganen Produkten sehr aufgestockt. Grundsätzlich finde ich das gut, aber es sorgt bei uns für zusätzlichen Druck.» Keller-Hilfiker erzählt etwa von Kunden, die früher alle paar Tage gekommen sind und nun nur noch einmal im Monat.

Die Kritik über zu hohe Preise kennt der Betreiber des Lebensmittelgeschäfts gut. «Das habe ich zum letzten Mal gestern gehört.» Mit den Grossverteilern könne man aber einfach nicht mithalten: «Wir können nicht so grosse Mengen beziehen und haben deshalb andere Preise beim Einkauf.»

Zwar habe auch der Laden in Zürich von der Corona-Zeit profitiert, doch nun steht eine unsichere Zeit bevor. «Wir stehen unter massivem Druck und wissen nicht genau, wie weiter», so Keller-Hilfiker. Schlussendlich entscheide der Kunde: «Die Kunden müssen selbst wissen, ob sie Quartierläden und Spezialläden noch wollen. Wenn sie nicht wollen, dass Quartierläden aussterben, müssen sie kommen. Ich glaube, solche Läden tun Quartieren und Städten gut.»

veröffentlicht: 4. Januar 2023 11:54
aktualisiert: 4. Januar 2023 11:54
Quelle: BärnToday

Anzeige
Anzeige
baerntoday@chmedia.ch