Frau Schwab, nimmt Gewalt an Lehrpersonen zu?
Franziska Schwab: Der Schweizerische Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer (LCH) hat kürzlich eine schweizweite Umfrage zu Gewalt an Lehrpersonen gemacht und dabei klar festgestellt, dass die Gewalt an Lehrpersonen zunimmt. Bei Bildung Bern haben wir eine eigene Beratung – auch diese stellt eine Zunahme von Anfragen von Lehrpersonen oder Schulleitungen fest. Gefragt wird vor allem, was rechtlich möglich ist, wenn sich ein solcher Vorfall ereignet. Dies ist allerdings abhängig vom individuellen Vorfall.
Inwieweit ist Mobbing an Lehrpersonen ein Thema?
Mobbing ist leider ein bekanntes und sehr altes Thema. Experten sagen, dass in Europa etwa ein Viertel aller Menschen von Mobbing betroffen sind. Die Schweiz befindet sich etwa im Mittelfeld. In unseren Schulen kommt Mobbing bedauerlicherweise immer wieder vor. Es kann gravierende psychische und finanzielle Folgen haben.
Werden Lehrerinnen und Lehrer überhaupt noch genügend respektiert?
Dazu müsste man «Respekt» natürlich definieren. Aber ich kann folgendes sagen: Das Pendel schlägt ganz klar in eine andere Richtung. Früher hatte man vielleicht zu viel Respekt bis sogar Angst vor den Lehrpersonen. Auch das war nicht richtig. Aber ich denke, das ist nicht nur in der Schule so ist, sondern allgemein in der Gesellschaft: Der Umgangston, das Verhalten und das Zusammenleben haben sich verändert.
Worin sehen Sie die Gründe für diesen Wandel?
Darüber könnte man stundenlang diskutieren. Die Werte sind vielleicht heute weniger wichtig. Und es werden sicher zu wenig Grenzen gesetzt. Das hat man früher in der Erziehung sicher mehr gemacht. Dies geschieht vielleicht nicht aus etwas Schlechtem hinaus: Ich glaube, die Menschen wollen es alle sehr gut machen und Fehler vermeiden. Daraus kann das falsche Verhalten entstehen, dass man Angst hat, Widerstand zu bieten oder Grenzen zu setzen. Dabei ist genau das auch wichtig für die Entwicklung eines Kindes.
Was können Vorfälle wie jener bei der Primarschule Bethlehemacker bei Lehrpersonen auslösen?
Man fühlt sich sicher ohnmächtig. Das Schlimmste, was passieren kann ist, wenn Lehrpersonen nach einem solchen Vorfall die Stelle künden und etwas anderes machen. Das ist fatal, da wir sowieso schon viel zu wenig Lehrerinnen und Lehrer haben. Unterrichten ist anspruchsvoll genug – wenn dann noch zu viele grundlegende erzieherische Aufgaben dazukommen, ist dieser Beruf nicht mehr leistbar.
Was kann man nach einem solchen Vorfall übernehmen?
Bildung Bern hat ein Beratungsangebot: Wir haben professionelle Beraterinnen und Berater, bei denen man sich als Mitglied melden kann. Ganz wichtig finde ich aber auch das Schulklima: Alle an einer Schule tätigen Fachpersonen müssen zusammen am gleichen Strick ziehen, den Umgang miteinander und mit den Schülerinnen und Schülern thematisieren und immer wieder üben. Idealerweise ziehen auch die Eltern am gleichen Strick. Beziehung ist ungemein wichtig und bildet eine gute Grundlage, um gemeinsam zu lernen und zu leben.
Wie sollten solche Vorfälle mit Schülerinnen und Schülern thematisiert werden?
Wichtig ist, miteinander über Respekt und den gemeinsamen Umgang zu reden. Dies muss geübt und in den Alltag eingebaut werden. Das braucht Zeit – und dies hat die Schule leider nicht immer zur Verfügung. Investitionen in dieses Fundament lohnen sich aber immer sehr. Aber dafür sind ausgebildete Lehrpersonen und kleine Schülergruppen nötig; die Bildungsqualität muss gesichert werden. Daher lanciert Bildung Bern im Januar eine Verfassungsinitiative, die genau darauf abzielt, dies zu tun.
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