Viele Neukunden

Steigende Altersarmut ist im Caritas-Markt Biel spürbar

06.10.2022, 10:30 Uhr
· Online seit 06.10.2022, 05:59 Uhr
Die Armut in der Schweiz nimmt zu. Besonders stark betroffen sind ältere Menschen. BärnToday war zu Besuch im Caritas-Markt in Biel: Dort merkt man die Auswirkungen der Teuerung und des drohenden Strommangels im Alltag – es kommen neue Kunden.

Quelle: BärnToday / Anissa Perumbuli & Warner Nattiel

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Im Caritas-Markt in Biel herrscht am Mittwochmorgen geschäftiger Betrieb, auch wenn der Laden noch nicht geöffnet ist. Marktleiterin Vera Seckler und drei Mitarbeitende füllen die leeren Regale auf. Gemüse, Teigwaren und Keramiktassen werden eingeräumt. Heute ist es etwas stressiger, denn die Tiefkühlprodukte werden geliefert – trotzdem ist die Stimmung im Team ausgelassen.

«Sie wissen genau, dass am Mittwoch die Tiefkühlware kommt»

Kurz vor 10 Uhr stehen die ersten Kundinnen und Kunden vor dem Eingang. Sie warten geduldig darauf, dass die Türen geöffnet werden. Seckler sagt: «Sie wissen genau, dass am Mittwoch die Tiefkühlware kommt.» Diese Produkte werden nur einmal pro Woche geliefert und direkt aufgefüllt. Einige der Leute laufen direkt zum Gefrierschrank. Denn dieser sei jeweils nach ein paar Tagen wieder fast leer. Grosse Mengen an Tiefkühlprodukten im Caritas-Markt Biel zu lagern, sei nicht möglich, dafür sei der Hinterraum zu klein.

Dort stehen leere Boxen, aber auch Olivenöl und andere Waren, die noch nicht in den Regalen bereit liegen. Der Zivildienstleister kontrolliert Waren, während eine Frau, die als Teil des Arbeitsintegrationsprogramms im Caritas-Markt arbeitet, die ersten Kunden an der Kasse bedient.

Personen, die im Caritas-Markt einkaufen, sind von Armut betroffen. «Wir dürfen nur Ware an Leute mit einem kleinen Budget verkaufen, die an der Armutsgrenze leben», erklärt Seckler. Wer im Markt einkaufen will, muss eine personalisierte Caritas-Markt-Karte oder eine Kultur-Legi besitzen. Kriterien für die Eintrittsberechtigung seien beispielsweise Ergänzungsleistungen, Schuldensanierung oder Sozialhilfebezug.

Unter den ersten Leuten am Mittwochmorgen, die den Laden betreten, sind mehrheitlich ältere Personen – von rund 15 Kundinnen und Kunden sind nur etwa zwei unter 65 Jahre alt. Ob wegen der Teuerung wirklich mehr ältere Personen kommen, ist für Vera Seckler schwierig zu sagen. Trotzdem hat sie das Gefühl, dass es einige neue Kunden und Kundinnen hat. Dies sei nicht nur in Biel der Fall, sondern auch bei den beiden anderen Caritas-Märkten in Bern und Thun, ergänzt Barbara Keller, Mediensprecherin Caritas Bern, auf Anfrage.

11,5 Prozent der älteren Berner und Bernerinnen von Armut betroffen

Im Kanton Bern befinden sich laut Caritas rund 100'000 Personen unter der Armutsgrenze. Sie müssen mit 2279 Franken oder weniger pro Monat leben. Dazu kommen zahlreiche Menschen, die von Armut bedroht sind. Laut einer aktuellen Studie von Pro Senectute sind 11,5 Prozent der Berner Bevölkerung im Alter über 65 Jahren von absoluter Armut betroffen. Insgesamt leben 46'000 Rentnerinnen und Rentner in der Schweiz in Armut.

Barbara Keller sagt dazu: «Altersarmut existiert effektiv.» Personen über 65 seien sehr oft von Armut betroffen. «Mit der Teuerung merkt man extrem, dass Leute, die knapp über der Armutsgrenze gelebt haben, jetzt natürlich abrutschen und dort wirklich ein Defizit haben.» 50 bis 100 Franken würden diese Menschen aus der Bahn werfen und das Monatsbudget sprengen. Laut dem Bundesamt für Statistik steigt die Armut in der Schweiz seit dem Jahr 2014. Seckler merkt den Geldmangel nicht nur an neuer älterer Kundschaft: «Es gibt auch mehr junge Familien, die eine Karte beantragen.»

Ein älterer Herr, der eigentlich Russisch spricht, versucht mit einigen deutschen Wörtern und viel Handbewegungen der Marktleiterin zu erklären, dass er grosse Thermosflaschen sucht. Er will vier davon. Während Seckler versucht, ihm zu erklären, dass diese erst am Donnerstag geliefert werden, drängen sich andere Kundinnen an den Beiden vorbei. Auch wenn alle zum Gefrierschrank wollen, reisst sich niemand um die Produkte. «Im Moment haben wir noch alles, was wir haben sollten», sagt die Marktleiterin.

Die Ersten stehen nach ein paar Minuten schon an der Kasse. Den kleinen Markt nach den wichtigsten Sachen abzusuchen, dauert nicht lange. «Wir merken, dass der einzelne Warenkorb grösser ist. Leute kaufen für mehr Geld auf einmal ein», so Seckler. Das bestätigt auch Keller: «Zum einen haben wir mehr Leute, die kommen, aber wir merken auch, dass die, die kommen, effektiv mehr einkaufen.» Denn es brauche mehr Personal und die Umsätze würden ansteigen.

veröffentlicht: 6. Oktober 2022 05:59
aktualisiert: 6. Oktober 2022 10:30
Quelle: BärnToday

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