Obergericht Solothurn

Tochter beinahe zu Tode geschüttelt? Ankläger fordert 8,5 Jahre für Vater

14.03.2023, 18:58 Uhr
· Online seit 14.03.2023, 13:28 Uhr
Der Staatsanwalt hat am Dienstag eine Freiheitsstrafe von 8,5 Jahren für den 36-jährigen Beschuldigten gefordert. Dieser soll im Frühling 2012 seine damals acht Wochen alte Tochter mehrmals geschüttelt haben, sodass sie schwere Verletzungen erlitt.

Quelle: Tele M1

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Bereits zuvor Bube erstickt?

Um den Erstickungstod des ersten Babys des Mannes im Juli 2010 geht es vor Obergericht nicht mehr. Das Amtsgericht Dorneck-Thierstein hatte den Schweizer im Mai 2021 mangels Beweisen vom Vorwurf der Tötung seines kleinen Sohnes und der mehrfach versuchten Tötung der Tochter freigesprochen. Den Freispruch im Fall des Buben akzeptierte der Staatsanwalt. Er ist deshalb rechtskräftig. Am Obergericht ging es deshalb einzig um den Vorwurf der mehrfach versuchten Tötung des kleinen Mädchens. Auch hier hatten die Indizien dem Amtsgericht nicht für eine Verurteilung ausgereicht.

Nur Vater im Visier der Staatsanwaltschaft

Da im vorliegenden Fall ausschliesslich der Vater oder die Mutter als Täter oder Täterin in Frage kommen, zielte der Staatsanwalt darauf ab, die Mutter als Täterin klar auszuschliessen. Daraus müsste die Verurteilung des Vater als einzig möglichem Täter folgen. Das Verfahren gegen die Frau war 2017 eingestellt worden. Kern der Argumentation des Anklägers waren überwachte Gespräche zwischen den Eltern. Im Gesprächsverhalten der beiden zeige sich «ein krasser Kontrast». Die Mutter habe verzweifelt darauf beharrt, dass Wahrheit und Gerechtigkeit ans Licht kämen. Immer wieder habe sie das Thema angeschnitten. Der Beschuldigte dagegen sei ausgewichen, habe abgewiegelt, beschwichtigt, abgelenkt oder einfach geschwiegen. Er habe kein Interesse daran gezeigt, wer seine Tochter geschüttelt habe.

Arbeitsstress und Babygeschrei als möglicher Auslöser der Tat

Auch die äusseren Umstände weisen laut Staatsanwalt auf den Beschuldigten hin: Zum Zeitpunkt des Schüttelns war die Ehe in einer Krise. Der Mann war nach einem langen Arbeitstag nach Hause gekommen. Er war allein mit dem Baby, das eine volle Stunde lang schrie – ein enormer Stress für den Mann. Als die Mutter nach Hause kam, war das Kind bleich, trank nicht und schrie. Nur weil sie rasch ärztliche Hilfe anforderte und eine Not-Operation vorgenommen wurde, sei das Baby nicht in unmittelbarer Lebensgefahr gewesen, sagte der Staatsanwalt.

Die Verteidigung plädiert auf Freispruch

Die Verteidigung plädiert auf Freispruch, weil die Beweislast nicht genügend ist, um ihren Mandanten zu belasten. Ihm könne keine Schuld zugewiesen werden. Sie verlangt 120'000 Franken plus Zinsen als Wiedergutmachung und Genugtuung, aber mindestens 65'000 Franken. Der Angeklagte habe 99 Tage in Untersuchungshaft gesessen, er habe seinen Job verloren und seine Familie sei zerstört. Der Schaden sei immens, er stehe seit zwölf Jahren unter dem Verdacht eines Kindsmörders. Der Angeklagte leide unter posttraumatischen Belastungsstörungen und könne im Moment keine psychologische Therapie beginnen, weil man das Ende des Prozesses abwarten will. Er sei inzwischen arbeitsunfähig und hat praktisch keine sozialen Kontakte mehr.

Die Verteidigerin sagte zudem, die Tat und die Vorwürfe liessen niemanden kalt. Aber es hätte genau so gut sein können, dass anstelle des Angeklagten die Mutter des Kindes auf der Anklagebank sitzt. Der Angeklagte sei von allen als emotionslos hingestellt worden. Die Verteidigerin weist darauf hin, dass jeder Mensch anders mit Verlusten umgeht. Er sei ein sehr introvertierter, ruhiger Typ, ein Fels in der Brandung, im Gegensatz zur Kindesmutter. Der Angeklagte habe aber durchaus Gefühle gezeigt und sei aufrichtig erschüttert und schockiert gewesen, als rauskam, dass seine Tochter geschüttelt wurde.

Vater wollte Suizid begehen

Der Angeklagte war nahe dran, Suizid zu begehen, so die Verteidigung. Er habe seiner Mutter einen Abschiedsbrief geschrieben. In dem Brief schrieb er, dass er sich ungerecht vom Staat behandelt fühle und nie eine Straftat begangen habe. Er hoffe, dass seine Tochter dies später einmal verstehen werde.

Dass das Kind geschüttelt wurde, ist anhand der Verletzungen, die das Mädchen damals hatte, klar. Der zuständige Kinderarzt hatte aber damals eingeräumt, dass die Tat fünf Tage bis 48 Stunden vor dem Besuch beim ihm hätte stattfinden können. Es könne deshalb auch sein, dass die Tat zu einem früheren Zeitpunkt geschehen sei. Aus einem Gespräch zwischen der Kindsmutter und der Grossmutter sei zudem hervorgegangen, dass es zu einem Unfall mit dem Kinderwagen gekommen war. Dieser Unfall hätte auch zu dem Zustand des Kleinkindes führen können, so die Verteidigung.

Staatsanwalt fordert 8,5 Jahre Freiheitsentzug

Wie vor der ersten Instanz machte der Beschuldigte heute von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch. Seine Verteidigerin kommt am Nachmittag zu Wort. Die Staatanwaltschaft fordert 8,5 Jahren für den Kindsvater. Das Urteil des Obergerichts wird am Donnerstag erwartet.

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veröffentlicht: 14. März 2023 13:28
aktualisiert: 14. März 2023 18:58
Quelle: 32Today

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