Warum kommt es unter Eritreern in der Schweiz immer wieder zu Gewalt?
Bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen stehen sich zwei Fraktionen gegenüber: Die Anhänger und die Kritiker des eritreischen Regimes.
Seit das Land am Roten Meer 1993 die Unabhängigkeit von Äthiopien erlangt hat, regiert Isaias Afwerki als Präsident. Zahlreiche Personen sind vor dem Diktator und seiner Regierung aus Eritrea geflüchtet – auch in die Schweiz. Sie kritisieren unter anderem Menschenrechtsverletzungen durch die Regierung.
Demgegenüber gibt es aber auch Personen, die das Regime unterstützten. So werden immer wieder Veranstaltungen von der eritreischen Botschaft oder Konsulaten als «Kulturfestivals» organisiert. Meist kommt es im Rahmen solcher Veranstaltungen zu Gewalt.
Wo ist es in der Schweiz bereits zu Ausschreitungen gekommen?
Die jüngsten Zusammenstösse gab es am Ostersonntag, dem 31. März 2024, in Gerlafingen im Kanton Solothurn. Ein Grossaufgebot der Polizei konnte mit Wasserwerfern, Tränengas und Gummischrot das Aufeinandertreffen der verfeindeten Gruppen mit Mühe und Not verhindern.
Letztes Jahr kam es in Grellingen im Kanton Baselland ebenfalls zu einem Grosseinsatz der Polizei. Mehrere Hundert Regimegegner machten sich am 9. Dezember 2023 auf den Weg, um ein Eritrea-Festival zu stürmen.
Quelle: Leservideo
Die Polizei musste das Gebiet grossräumig absperren. Über mehrere Stunden kam niemand mehr nach Grellingen – selbst Anwohnende hatten keine Chance.
Einige Monate zuvor kam es in Opfikon im Kanton Zürich zu einer Massenschlägerei unter Eritreern. Beim Zusammenstoss zwischen Anhängern des Regimes und Oppositionellen wurden zwölf Männer verletzt. Gegen 15 Personen wurde ein Verfahren eröffnet.
Die Ausschreitungen an Eritrea-Festivals sind kein Problem, das sich nur auf die Schweiz beschränkt. So kam es im September 2023 auch in Stuttgart zu einem Angriff von über 200 Personen auf die Teilnehmenden einer solchen Veranstaltung. Über 60 Regimekritiker sollen dabei aus der Schweiz nach Stuttgart gereist sein.
Von wem geht die Gewalt aus?
Die Gewalt scheint hauptsächlich von Regimekritikern auszugehen. Bei den Ausschreitungen versuchten sie, oft mit Stöcken und Steinen bewaffnet, regimetreue Veranstaltungen zu stören.
Der Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause betonte gegenüber den Tamedia-Zeitungen, dass es in der Vergangenheit nur bei Anlässen von Regimefreunden zu Problemen gekommen sei.
Warum fliehen Menschen aus Eritrea in die Schweiz?
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe nennt als Grund für die Flucht aus Eritrea hauptsächlich die repressive Diktatur: «Menschenrechtsverletzungen sind an der Tagesordnung. Männer, Frauen und manchmal sogar Kinder werden in den Nationaldienst mit unbegrenzter Dauer zwangsrekrutiert und dort schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt.» Wer den Wehrdienst verweigert, werde inhaftiert und gefoltert – auch Familienangehörige würden festgenommen, um die Dienstverweigerer zu finden.
Von 2020 bis 2022 war Eritrea in den Bürgerkrieg in Äthiopien involviert – die Tigray-Region grenzt direkt an Eritrea. Seit dem Krieg habe sich die Menschenrechtslage im Land weiter verschlechtert.
2023 gingen in der Schweiz die drittmeisten Asylgesuche aus Eritrea ein (nach Afghanistan und der Türkei). Besonders hoch ist dabei die Zahl von sogenannten Sekundärgesuchen, also Gesuche von bereits registrierten Leuten, etwa durch Geburt oder Familiennachzug. Eine Rolle spielt auch, dass es in der Schweiz schon eine grosse eritreische Diaspora gibt - das zieht Leute aus diesem Land an.
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Was für eine Veranstaltung findet am Samstag in Bern statt?
Verschiedene Gruppierungen haben zu einer «gesamtschweizerischen Demonstration von regimekritischen Eritreer*innen» aufgerufen. Aus allen Landesteilen wollen sie sich auf dem Bundesplatz versammeln. So seien etwa auch Car-Reisen aus dem Tessin oder aus der Westschweiz geplant.
Es ist nicht die erste solche Veranstaltung in Bern. Zuletzt fand eine Demonstration auf dem Bundesplatz im November 2023 statt.
Was wollen die Regimekritiker?
Die Regimekritiker haben für die Veranstaltung am Samstag vier Forderungen:
1. Abschaffung der Passbeschaffungspflicht 2. Keine Ausschaffungen – weder nach Eritrea noch Ruanda oder andere Staaten 3. Propagandafestivals des Diktators stoppen 4. Rassismus und SVP-Hassreden stoppen.
Besonders die sogenannten «Eritrea-Festivals» der Regierung sind den Oppositionellen ein Dorn im Auge: «An diesen Veranstaltungen wird verfassungs- und demokratiefeindliche Propaganda verbreitet. Zudem wird damit die hiesige Diaspora kontrolliert und es wird Geld für das Regime gesammelt», schreibt etwa der Eritreische Medienbund Schweiz im Aufruf zur Demonstration. Gemäss Medienberichten gelangen auch Spione aus Eritrea als Flüchtlinge getarnt in die Schweiz und bespitzeln, bedrohen und erpressen hier Geflüchtete.
Was sagt die Politik?
Aus der Politik gibt es – von links bis rechts – immer wieder Stimmen, die Eritrea-Festivals in der Schweiz verbieten wollen. Im Frühling empfahl die Kantonale Konferenz der Justiz- und Polizeidirektorinnen und Direktoren (KKJPD) den Gemeinden, geplante Eritrea-Veranstaltungen bei der Polizei zu melden. Es sei nicht nachvollziehbar, dass Leute in der Schweiz den Diktator feiern und gleichzeitig um Asyl nachsuchen.
In verschiedenen Kantonen wurden bereits solche Feste verboten; in Rüfenacht im Kanton Bern wurde im Sommer 2023 beispielsweise ein geplantes Eritrea-Fest durch die Polizei abgesagt.
Wie äussern sich Anhänger des eritreischen Präsidenten?
In einem Interview mit den Tamedia-Zeitungen äusserte sich im April Yohannes Berhane, ein Organisator der umstrittenen Eritrea-Festivals, der seit über 30 Jahren in der Schweiz lebt. Auf die Kritikpunkte, die dem eritreischen Diktator und der Regierung vorgeworfen werden, will er dabei kaum eingehen. «Diese Dinge finden in Eritrea statt, wenn es so ist. Mit unseren Festivals hat das nichts zu tun.» Personen, die die Feste stören, seien seiner Meinung nach gegen die Einheit Eritreas und würden es nicht ertragen, wenn die Kultur gefeiert werde.
Im Mai äusserte sich der eritreische Botschafter Habtom Zerai gegenüber «20 Minuten». Der Botschafter könne etwa nicht verstehen, warum die Behörden vor Eritrea-Festen warnen.
Dass bereits einige Veranstaltungen abgesagt wurden, stösst bei Zerai auf Unverständnis: «Das verstösst gegen Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit.» Er fordert, dass gegen die kleine Gruppe an Gewalttätigen mit der vollen Härte des Gesetzes vorgegangen werde. Vorwürfe, dass der Präsident Isaias Afewerki ein Diktator sei, seien «empörend und entbehren jeglicher Grundlage».
Der Vorgänger von Zerai sorgte übrigens für einen Skandal: Der ehemalige Botschafter Adem Osman tauchte plötzlich unter und beantragte in der Schweiz Asyl. Dieses wurde ihm auch gewährt, wie vor wenigen Wochen bekannt wurde.
Was wird am Samstag erwartet?
Für die Veranstaltung am Samstag wurde eine Bewilligung beantragt. Diese werde voraussichtlich gewährt, wie der Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause gegenüber «Blick» bestätigt. Man kenne die Veranstalter bereits. Die Kantonspolizei Bern werde vor Ort sein.
Bisher fanden bereits zwei ähnliche Veranstaltungen auf dem Bundesplatz statt, eine im November 2023 und eine im Mai 2018 – diese verliefen friedlich.