Ein Jahr Ukraine-Krieg

Putin gibt noch lange nicht auf – Politiker sehen Schweiz in der Pflicht

· Online seit 22.02.2023, 06:58 Uhr
Ein prominenter Kreml-Kritiker ist überzeugt, dass Putin nur gestoppt werden könne, wenn der Westen mehr Waffen liefere. Gesuche um Waffen-Weitergaben hat die Schweiz abgeschmettert. Eine SP-Nationalrätin will dies ändern.
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Auch nach einem Jahr Krieg in der Ukraine denkt Kreml-Chef Wladimir Putin noch lange nicht ans Aufgeben. In der Ukraine sei ein «Neonazi-Regime» an der Macht, sagte er in einer Ansprache am Dienstag in Moskau.

Den Krieg bezeichnet er nach wie vor als «militärische Operation». Diese werde fortgesetzt. «Schritt für Schritt, sorgfältig und konsequent, werden wir die vor uns liegenden Aufgaben lösen», kündigte Putin an. Geht es nach dem prominenten Kreml-Kritiker Michail Chodorkowski, wird Putin die Angriffe auch nicht stoppen, sollte der ukrainische Widerstand zusammenbrechen. Stattdessen werde er weiter in Richtung Westen vorstossen, sagte er gegenüber dem «Tages-Anzeiger».

Brisante Debatte

Mit seiner Prognose scheint Chodorkowski nicht zu weit gegriffen zu haben. Kürzlich tauchte ein internes Kreml-Dokument auf, dem zufolge Putin bis 2030 den Nachbarstaat Belarus schrittweise zu übernehmen planen soll. Laut dem Bericht zielt Putin auf einen gemeinsamen Unionsstaat unter russischer Führung ab.

Chodorkowski sieht den Westen in der Pflicht, um dem Schrecken ein Ende zu setzen. Er kritisiert, dass der Westen zu wenig Waffen in die Ukraine liefere. «Die einzige Alternative ist, dass man jetzt anerkennt, dass die Ukraine nicht nur für ihre Freiheit kämpft, sondern auch dafür sorgt, dass Europa in Ruhe leben kann», sagte der Russe.

In rund zwei Wochen debattiert der Nationalrat anlässlich der Frühlingssession, ob die Schweiz ihre Nichtwiederausfuhr-Auflagen für Waffen im Falle der Ukraine aufheben soll. Daran geknüpft wäre unter anderem die Bedingung, dass sich die Wiederausfuhr auf eine Situation bezieht, die der UNO-Sicherheitsrat in einer Resolution als im Widerspruch zum völkerrechtlichen Gewaltverbot deklariert.

«Wir haben eine Solidaritätspflicht»

Bis jetzt haben Deutschland, Dänemark und Spanien die Schweiz erfolglos um die Weitergabe von Waffen und Munition hiesiger Herkunft ersucht. Für SP-Nationalrätin Franziska Roth steht ausser Zweifel, dass das Parlament das Kriegsmaterialgesetz mit einer eng gefassten und auf dem Völkerrecht basierenden Ausnahme für die Ukraine anpassen sollte. Auch als neutrales Land habe die Schweiz eine Solidaritätspflicht gegenüber der Ukraine und allen Ländern, die das angegriffene Land unterstützten.

Die Neutralität werde damit nicht geritzt, sagt Roth. Sie macht darauf aufmerksam, dass das Haager Abkommen über das Neutralitätsrecht nur die Direktausfuhr regelt, nicht aber die Wiederausfuhr. Auch trage die Schweiz mit der Weitergabe nicht substantiell am Einsatz kriegerischer Mittel in der Ukraine bei. Substantiell unterstützen könne die Schweiz die Ukraine mit humanitärer Hilfe.

«Da wir eine Solidaritätspflicht haben, gibt es aber keinen Grund, den Ländern Steine in den Weg zu legen, die uns um eine Waffen-Weitergabe ersucht haben.» Sie fügt an: «Nichts zu machen, würde bedeuten, dem Aggressor in die Hände zu spielen.»

«Schweizer Waffen bleiben Schweizer Waffen»

In einem Dilemma steckt FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen. «Auf der einen Seite ist die Neutralität zu wahren und gleichzeitig die Ukraine zu unterstützen. Falls das gelingt, bin ich für eine Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes», sagt er. Es sei eine äusserst delikate Entscheidung. «Jetzt geht es um die Ukraine, was passiert, wenn künftig andere Länder betroffen sind?», fragt er. Zudem sei nicht ausgeschlossen, dass die weitergegebenen Waffen in russischen Händen landeten.

Laut Wasserfallen konfrontiert die Debatte die Schweiz mit einem «klaren Paradigmenwechsel». «Letztlich geht es darum zu entscheiden, ob die Schweiz noch als neutral wahrgenommen wird oder nicht.» Zwischen indirekten und direkten Waffenlieferungen gebe es keinen grossen Unterschied mehr. «Auch wenn diese Waffen in Deutschland umgepackt wurden, bleiben es Schweizer Waffen.»

Kommission hält an «Lex Ukraine» fest

Am Dienstag beschloss die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrates mit einer knappen Mehrheit, an ihrer parlamentarischen Initiative «Lex Ukraine» festzuhalten. Diese verlangt, dass Nichtwiederausfuhr-Erklärungen hinfällig werden, wenn die Rüstungsgüter im Zusammenhang mit dem russisch-ukrainischen Krieg an die Ukraine geliefert werden. 

Ausserdem nahm die Kommission eine neue Initiative an, wonach der Bundesrat im Einzelfall eine Nichtwiederausfuhr-Erklärung ausnahmsweise auf fünf Jahre befristen können soll.

veröffentlicht: 22. Februar 2023 06:58
aktualisiert: 22. Februar 2023 06:58
Quelle: Today-Zentralredaktion

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