«Reicht kaum einen Monat»

So schlecht stehts um die Kulturförderung für Schweizer Games

07.01.2023, 07:44 Uhr
· Online seit 07.01.2023, 07:41 Uhr
Die Schweiz hat mehrere erfolgreiche Game-Entwicklerstudios, sogar der bekannte Landwirtschafts-Simulator stammt aus Zürich. Trotzdem hinkt die Kulturförderung für das beliebte Medium im Vergleich mit Nachbarländern deutlich hinterher. Das liege auch an veralteten Denkweisen und Klischees, sagt ein Experte.
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Das sagt die Entwicklerin

Philomena Schwab ist Co-Gründerin des «Stray Fawn Studio». Im Herbst 2022 veröffentliche sie ihr Computerspiel «The Wandering Village», das zu einem Hit wurde. In der ersten Woche verkaufte sich das Aufbauspiel über 100'000 Mal. Per Crowdfunding wurden dafür knapp über 150'000 Euro gesammelt. Die Entwicklung des Spiels kostete bisher rund 1,5 Millionen Franken.

Von Pro Helvetia wurde das Projekt mit circa 60'000 Franken unterstützt. «Das ist zwar super, um Projekte zu unterstützen, welche frisch aus dem Studium kommen, aber für ein Studio unserer Grösse reicht dieses Geld leider nicht mal mehr einen Monat», so Schwab. «Wenn man eine ernstzunehmende, nachhaltige Game-Industrie aufbauen will, kommt man damit nirgends hin.» Da das Spiel noch weiterentwickelt wird, rechnet Philomena Schwab mit weiteren Kosten von 1 bis 1,5 Millionen Franken.

Sie vergleicht die Beiträge mit Fördergeldern in Deutschland, wo Beitrage von 500'000 bis zu einer Million Euro möglich sind. «Ich habe das Gefühl, dass wir diese Entwicklung total verschlafen», so die Spieleentwicklerin. «Die Industrie wächst. Wir wachsen zwar mit, aber in einem Schneckentempo. Ich weiss nicht, ob wir da mithalten können.» Das Spiel «The Wandering Village» hat sich bisher 200'000 Mal verkauft.

Schwab stört sich auch an der Diskussion über Spiele, bei denen immer wieder Begriffe wie Killerspiele oder das Suchtpotenzial genannt werden. Beim Medium der Computerspiele würden alle in einem Topf mit problematischen Inhalten geworfen, so Schwab. «Es gibt schliesslich auch sehr brutale Filme und trotzdem romantische Komödien. Ich finde es wirklich komisch, dass man sich nicht differenzierter mit Inhalten auseinandersetzen kann.»

Das sagt der Experte

Marc Bodmer ist seit über 30 Jahren in der Branche, arbeitet als Game Consultant und war über 10 Jahre als unabhängiger Computerspiel-Experte für Pro Helvetia tätig. Auch er kritisiert die fehlende kulturelle Förderung für Schweizer Games deutlich. «Viele Menschen in Entscheidungsfunktionen sind keine Gamer und damit ist das Thema für sie erledigt. Sie sind nicht in der Lage zu erkennen, dass das, was sie interessiert, nicht der allgemeingültige Massstab ist.»

In der Schweiz unterstützt lediglich Pro Helvetia Spielprojekte. Fördergelder auf städtischer, kantonaler oder Bundesebene, wie etwa in Deutschland, fehlen komplett. Bodmer vergleicht es mit der Unterstützung eines Theaters oder eines Opernhauses. So subventioniert der Kanton Zürich das Opernhaus mit 80 Millionen Franken. «Wie viele Leute gehen in das Opernhaus? Wieso geht das, aber die Unterstützung für die Spielebranche nicht?», fragt sich Bodmer.

Niemand würde erwarten, dass man in der Spielebranche alles finanziert, aber heute sei das Risiko für Entwicklerinnen und Entwickler sehr gross. Nur 1 von 10 Spielen hätte Erfolg. «Es ist ein High-Risk-Business», so Bodmer. «Deswegen braucht es Förderung.»

Trotzdem gibt es in der Schweiz auch mehrere Beispiele für Entwicklerfirmen, die es geschafft haben: Okomotive mit «FAR: Lone Sails», Stray Fawn Studio mit «The Wandering Villager» oder Giants Software mit dem «Landwirtschafts-Simulator». «Einige sagen, es bräuchte Leuchtturmprojekte, aber die haben wir. Wir haben nur nicht den politischen Willen, es zu unterstützen, weil es nicht so ‹geil› ist wie Theater oder Oper.»

Auch «ewiggestrige» Themen wie die «Killerspieldebatte» oder Suchtproblematik sind in der Schweiz noch nicht abgeschlossen. Marc Bodmer hat auch eine These, warum das so ist: «In Deutschland wurde diese Debatte damals hart geführt. Deutschland hat – abgesehen von China – die härtesten Jugendschutzbestimmungen überhaupt. Man ist aber zum Schluss gekommen, dass Gewalt in Spielen nicht zu Gewalt in der Gesellschaft führt.» Diese Diskussion sei in der Schweiz hängen geblieben, so Bodmer. Die verschiedene Behandlung von Medien sei schlicht nicht fair: «Gewaltdarstellungen in Filmen und vermehrt auch in TV-Serien sind scheinbar völlig okay und nicht der Rede wert», so Bodmer.

Trotzdem ist der Experte zuversichtlich: «Ich weiss, was das Medium kann und was für ein Potenzial es hat. Ich sehe, mit wie viel Leidenschaft und Talent die Leute ihre Arbeit machen. Ich hoffe es sehr, dass es irgendwann vorwärtsgeht. Das Problem ist eher: Können sie bis dann durchhalten?»

Das sagt Pro Helvetia

«Computerspiele sind über die Jahre immer wichtiger geworden und gehören heute zu den wichtigsten (Unterhaltungs-)Medien», schreibt Jérôme Benoit, Bereichsleiter Visuelle Künste & Design bei Pro Helvetia, auf Anfrage. Aus der Sicht von Pro Helvetia sei die Geschichte der Schweizer Gameförderung eine echte Erfolgsgeschichte: «Wir starten 2010 mit dem Programm ‹GameCulture›, lancierten 2016 den Innovationsschwerpunkt ‹Kultur und Wirtschaft›, integrierten die Förderung der interaktiven Medien ab 2021 fest in unsere Fördertätigkeit und schufen das Label ‹SwissGames›, das in der Zwischenzeit zu einem echten Qualitätsmerkmal geworden ist.»

Die Stiftung könne in der Regel 10 bis 15 Prozent an die Produktionskosten beitragen. Weiter würde man helfen, um für den fehlenden Teil der Finanzierung Produzenten und Investoren zu finden. Dies ist in der Schweiz aber kein einfaches Unterfangen. In Kantonen, Gemeinden, Städten und privaten Stiftung würden Videospiele noch keine Priorität geniessen, weiss Benoit. «Gemäss dem Verband Swiss Game Developers Association (SGDA) kommen nur zwei Prozent der Gelder für die Game-Entwicklung von Investoren.»

Das Problem ist bei Pro Helvetia aber bekannt, wie Jérôme Benoit erklärt: «Die derzeitigen Arbeitsbedingungen sind teilweise prekär, es braucht eine Menge Herzblut und es wird viel Gratisarbeit geleistet. Es stehen leider eindeutig zu wenig Mittel zur Verfügung – das Problem ist erkannt und Teil der kulturpolitischen Agenda.»

Trotz der noch zu geringen Mitteln für die Gameförderung müsse sich die Schweizer Szene aber nicht verstecken, so Benoit. Es habe sich eine erfolgreiche, kreative Game-Szene entwickelt. «Gerade erst hat ein Schweizer Game-Studio drei Preise beim berühmten Deutschen Entwicklerpreis gewonnen (bestes deutsches Spiel, beste technische Leistung und Innovationspreis für ‹The Wandering Village› von Stray Fawn Studio).»

Aktuell würden so einige Projekte von Pro Helvetia zur Games-Branche laufe, wie Benoit schildert: «Wir bereiten die nächste Ausschreibung für die Produktionsförderung vor und stecken mitten in den Vorbereitungen für den Schweizer Auftritt an der internationalen ‹Game Developers Conference› in San Francisco. Die Ausschreibungen für unsere massgeschneiderten Mentoring-Programme ‹Swiss Games Showcase› und ‹She Got Game› wurden eben geschlossen und die Teilnehmenden stehen in den Startlöchern.»

Das sagt der Kanton Bern

Beim Kanton Bern ist man zum Thema Videospielförderung eher kurz angebunden. Kulturprojekte würden im Kanton Bern subsidiär zu Förderbeiträgen der Gemeinde unterstützt, teilt die Bildungs- und Kulturdirektion mit. Entsprechende Fördergesuche von Spieleentwicklern seien bis heute noch keine an die kantonale Kulturförderung herangetragen worden.

Auch bei der Debatte um die Kulturstrategie 2018 des Kantons Bern sei die Förderung von Videogames nicht thematisiert worden. «Sollte sich dies in Zukunft ändern, wäre die Diskussion in den nächsten Jahren bei einer erneuten Revision der kantonalen Kulturförderungsstrategie sicher möglich.»

veröffentlicht: 7. Januar 2023 07:41
aktualisiert: 7. Januar 2023 07:44
Quelle: BärnToday

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