Champions League: Marcel Reif im Interview zu YB-Leipzig

Was trauen Sie YB in der Champions League zu?

Marcel Reif: Der dritte Platz ist realistisch. Das darf man anstreben. Wenn es mehr wird, wäre es dann schon fast das berühmte Wunder von Bern. Der direkte Gegner ist Roter Stern Belgrad, die sehe ich auf Augenhöhe.

Wie wichtig wäre es für YB, gegen Leipzig zu punkten?

Selbst wenn es keinen Punkt gibt – es geht darum, wie man auftritt. Das ist wichtig für die Psyche und die Mentalität der Mannschaft. Man muss gleich im ersten Spiel zeigen: «Wir können Champions League. Wir können uns sicher nicht mit den ganz Grossen messen, aber es geht darum, wie wir gegen die auftreten.» Es geht um das «wie». Wenn es einen Punkt gibt, ist das wunderbar.

Wie wichtig ist der Heimvorteil für YB?

Das ist immer wichtig. Im Wankdorf herrscht eine spezielle Atmosphäre – einerseits mit dem Kunstrasen und andererseits mit dem Publikum. Wenn die Mannschaft zeigt, dass es Spass macht, zuzuschauen, kriegst du eine besondere Atmosphäre hin. Das kann dir selbstverständlich helfen, einen Punkt zu holen. Das wäre aber sehr überraschend, bis hin zu sensationell.

Raphael Wicky hat RB Leipzig als eine der Top-3-Mannschaften Deutschlands bezeichnet, in Sachen Historie sei der Club aber nicht mit Bayern München oder Borussia Dortmund zu vergleichen. Sehen Sie das auch so?

Ja, aber man spielt nicht gegen die Vereinsgeschichte. YB spielt gegen eine Mannschaft, die top besetzt ist. Es gab viele Abgänge in den letzten zwei Saisons, man konnte sich aber mit jungen Spielern wieder sehr gut verstärken. Sie laufen in der Bundesliga aktuell etwas unter dem Radar. Die machen in Ruhe ihren Job, haben Spass an ihrem Fussball – welcher sehr gut aussieht – und lassen Bayern München und Bayer Leverkusen vorne marschieren. Beim Supercup, dem ersten Spiel der Saison, hat Leipzig in München gegen Bayern gewonnen – und das war kein Zufall.

Hier flanieren die Spieler von RB Leipzig am Dienstagmittag gemütlich durch Interlaken:

Wie gross ist der Klassenunterschied zwischen YB und RB Leipzig?

Ich würde sagen eine Klasse – nicht mehr und nicht weniger. YB könnte in der Bundesliga mitspielen, aber sicher eher im mittleren oder unteren Drittel der Tabelle. Die drei, vier Mannschaften, die in der Bundesliga zur Spitze gehören, sind auch schon in der Bundesliga eine Klasse stärker als der Rest. Die Spannweite ist schon gross. Es gibt aber den Spruch: «Form schlägt Klasse.» In der Liga, über 34 Spiele, würde sich Leipzig entspannt durchsetzen, aber in einem Spiel ist alles möglich. YB hat schon gegen Manchester United gezeigt, wie man eine Mannschaft mit Cristiano Ronaldo ziemlich belämmert nach Hause schicken kann.

Wie sehr freuen Sie sich auf dieses Spiel?

Ich freue mich sehr. Die Champions League geht wieder los, das ist schon der Königswettbewerb. Das Gute für YB ist: Mit dem ganzen Qualifikationsverfahren verlangt niemand von dir, dass du es in die Gruppenphase der Champions League schaffst. Das ist ein grosser Erfolg, auch für den Schweizer Fussball. Für YB ist damit ein wichtiges Ziel erreicht. Druck hat heute Abend also nur RB Leipzig. Grossen Druck haben nur die Grossen. Die etwas Kleineren wie YB können nur profitieren, wenn die Grossen mal etwas liegen lassen. Das musst du dann aber machen. Wenn Leipzig hochnäsig antritt und mit der Einstellung «wer ist schon YB?», dann steigen die Chancen.

Hier siehst du einen der legendärsten TV-Momente von Marcel Reif als Fussballkommentator: