Nach Generalversammlung

FC-Thun-Präsident Gerber: «Bin auch noch ein privater Mensch»

· Online seit 27.05.2023, 16:06 Uhr
Der FC Thun richtet sich neu aus, um finanziell wieder auf Kurs zu kommen. Nebst Rochaden im Verwaltungsrat wird ein bekanntes Gesicht den Club neu beraten. Im Interview erklärt Präsident Andres Gerber, was er sich davon erhofft und wie gross der Druck ist, der auf ihm lastet.
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BärnToday: Sie haben an der Generalversammlung betont, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Was sind die Probleme beim FC Thun?

Andres Gerber: Es ist kein Geheimnis, dass wir schon immer mit den Finanzen gekämpft haben. Aber mit dem Abstieg vor drei Jahren und Corona hat sich die Situation verschärft. Wir haben das dritte Jahr in Folge um die 1,5 Millionen Franken Minus gemacht. Das hat grosse Auswirkungen auf das Tagesgeschäft, wenn man weiss, dass man eigentlich kein Geld hat, aber gleichzeitig aufsteigen will. Das ist ein riesiger Druck für uns alle. Für mich, den Verwaltungsrat, die Geschäftsleitung, die Mitarbeiter, aber auch für Trainer und Spieler. Es ist etwas undankbar, weil die Leute erwarten, dass wir aufsteigen und einen top Service bieten, aber gleichzeitig müssen wir an allen Ecken und Enden sparen. Das ist eine Situation, die nicht auf Dauer aushaltbar ist. Es sind Mitarbeiter gegangen, weil der Druck zu gross ist, was dann aber den Druck auf die verbliebenen Personen weiter erhöht. Ich habe gemerkt, dass sich etwas verändern muss, damit wir nicht immer weiter mit dem riesigen Druck kämpfen.

Was sind die Hauptgründe für das grosse Defizit in den letzten Jahren?

Das ist die ganze Kostenrechnung. Die Kosten belaufen sich mittlerweile auf 9 Millionen Franken. Da ist das Stadion, der Nachwuchs und alles mit drin. Was das genau ist, kann man nicht sagen. Wir können nicht einfach sagen, dass wir bei der ersten Mannschaft 1,5 Millionen Franken einsparen oder den Nachwuchs, die Geschäftsstelle oder das Stadion nicht mehr zahlen. Mit diesen Kosten müssen wir rechnen. Noch mehr sparen geht nicht, sonst können wir irgendwann nicht mehr atmen. Deshalb müssen wir mehr Einnahmen generieren. Es bringt nichts, auf uns rumzuhacken, weil wir nicht aufsteigen oder ein grosses Minus machen. Es ist einfach zu sagen: «Ihr müsst halt sparen.» Aber das sind die gleichen Personen, die erwarten, dass wir aufsteigen, eine super Mannschaft haben und einen Top-Service bieten. Jetzt muss sich etwas verändern, sonst bin ich mit meinem Latein dann auch am Ende. Wir brauchen mehr Unterstützung. Es muss mehr geschätzt werden, was der FC Thun für die Region, den Nachwuchs und das soziale Engagement macht. Wir müssen unseren Job aber auch mindestens so gut wie bisher machen und wollen nicht nur in der Öffentlichkeit rumjammern.

Stossen Sie persönlich oft an Ihre Grenzen?

Ja, das kommt vor. Es ist Fussball, man ist in der Öffentlichkeit. Wenn es gut läuft, ist es schön und einfach, aber wenn es nicht läuft, sieht es anders aus. Erfolg ist aber relativ. Hier in der Region werden wir meistens mit YB verglichen. Das ist ein unfairer Vergleich, der FC Thun ist mindestens dreimal kleiner als YB – das Einzugsgebiet, die wirtschaftlichen Möglichkeiten, das Stadion, die Zuschauer. Wir können nicht Serienmeister werden. Das kann in der Theorie mal vorkommen, so wie wir mal in die Champions League gekommen sind. Wenn man die Möglichkeiten anderer Clubs anschaut, ist es nicht völlig verkehrt, dass wir dort sind, wo wir sind. Es braucht sehr viel Widerstandskraft, dass man sich nicht unterkriegen lässt. Es geht mir manchmal schon an die Substanz, weil ich extrem exponiert bin und seit 20 Jahren beim FC Thun bin. Ich bin auch noch ein privater Mensch. Ich habe vor zwei Jahren meinen Bruder und vor zwei Monaten meine Mutter verloren. Das braucht sehr viel Energie.

Bernhard Heusler, der als Präsident des FC Basel acht Mal in Folge Meister wurde, wird dem FC Thun ab sofort als Berater zur Seite stehen. Wie ist es dazu gekommen?

Wir kennen uns schon ewig. Ich hatte als Spieler, Sportchef und Präsident immer wieder mit dem FC Basel und Bernhard Heusler zu tun. Wir haben uns immer gut verstanden und sind in Kontakt geblieben. Vor einem Jahr sind wir konkreter über den FC Thun ins Gespräch gekommen. Da hat es ihn angesprochen und gepackt. Für mich und den FC Thun ist das ein Glücksfall. Er hat eine hohe Glaubwürdigkeit, nicht nur im Fussball. Es ist ein schönes Signal, dass er an uns glaubt und motiviert ist, mitzuhelfen.

Was erhoffen Sie sich von dieser Zusammenarbeit?

Er hat ein riesiges Netzwerk, nicht nur im Fussballgeschäft. Dazu gehören Medien, Investoren und Sponsoren. Das bringt zusätzliche Möglichkeiten, wir sind mit ihm eine spannendere Adresse. Es haben sich schon Sachen ergeben, die ohne ihn nicht möglich gewesen wären. Ich bin sehr hoffnungsvoll.

Die Nachwuchsförderung ist für Schweizer Clubs essenziell. Sollen die Nachwuchsspieler des FC Thun in Zukunft vermehrt in der ersten Mannschaft eingesetzt werden?

Das erhoffen wir uns. Es ist aber kein Wunschkonzert. Die Jungen müssen bereit und gesund sein. Auch wenn die Tabelle aktuell nicht schön aussieht, hatten wir viele gute Spiele. Wir konnten vier bis fünf junge Spieler in die erste Mannschaft integrieren, das ist sehr erfreulich. Das soll auf jeden Fall so weitergehen, wir wollen immer mehr auf die Jungen setzen. Wir haben aber nicht im Sinn, alles auf den Kopf zu stellen. Wir wollen die Lehren aus dieser Saison ziehen und Fortschritte machen.

Ist der Aufstieg auch nächste Saison Ihr Ziel?

Es ist ein schmaler Grat. Viele wollen das hören. Wenn man sagt, dass der Aufstieg nicht das Ziel ist, löscht es vielen ab. Aus wirtschaftlicher Sicht ist es wohl die beste Lösung, aufzusteigen. Man hat mehr TV-Einnahmen, mehr Zuschauer und mehr Sponsoreneinnahmen. Es ist einfacher, das Defizit zu lösen, wenn man in der obersten Liga ist. Wir können den Aufstieg aber nicht erzwingen. Wir können nicht zehn Messis kaufen. Es ist auf jeden Fall unser Ziel, eine wichtige Rolle zu spielen, gleichzeitig wollen wir aber nicht zu viel Druck aufsetzen. Wir wollen uns so aufstellen, dass wir auch ein weiteres Jahr in der Challenge League überleben.

Andres Gerber im TeleBärn-SportTalk im April 2022:

Quelle: TeleBärn

veröffentlicht: 27. Mai 2023 16:06
aktualisiert: 27. Mai 2023 16:06
Quelle: BärnToday

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