Sechs Gänge haben die Schwinger gestern in Appenzell beim ESV-Jubiläumsschwingfest absolviert. Mitentscheidend dafür, wer am Schluss ganz vorne steht, ist unter anderem die Einteilung. Nach jedem Gang wird anhand der Rangliste und dem bisherigen Notenblatt der Schwinger neu beurteilt, wer gegen wen im nächsten Gang anzutreten hat.
Spielen wir den Sonntag noch einmal mit Überraschungssieger Fabio Hiltbrunner vom Schwingklub Sumiswald durch:
1. Gang: Heinzer Lukas
Im ersten Gang wird darauf geachtet, dass die Duelle «auf Augenhöhe» stattfinden. Die stärksten prallen aufeinander, wie am Sonntagmorgen etwa Staudenmann vs. Schlegel und Wicki vs. Giger. Fabio Hiltbrunner gehörte nicht zu den Favoriten und erhielt einen Gegner, der etwa seinem eigenen Renommee entspricht, einer mit zwei Sternen (den zweiten Stern gibt es, wenn man einen Kranz an einem Bergfest oder an einem Teilverbandsfest erringt).
Lukas Heinzer ist ein 20-jähriger, aufstrebender Innerschweizer und darum ein passender Gegner für den ein Jahr jüngeren Hiltbrunner. Der Emmentaler gewann mit der Maximalnote, abseits der TV-Kameras.
2. Gang: Müllestein Mike
Nach dem Sieg gegen Heinzer gab es für Hiltbrunner im zweiten Gang einen Gegner mit klingenderem Namen: Den Schwyzer Eidgenossen Mike Müllestein, seit Jahren ein konstanter und starker Schwinger im Innerschweizer Verband. Der Hintergedanke: Wer wirklich nach vorne kommen will, muss nun auch gegen die «Bösen» bestehen – meist verlieren Schwinger von der Kragenweite Hiltbrunners diese Duelle und fallen in der Rangliste ein wenig zurück.
Doch Hiltbrunner überraschte ein erstes Mal und konnte Müllestein mit einer 10 besiegen – so stand er nach zwei Gängen plötzlich mit dem Punktemaximum alleine an der Spitze.
3. Gang: Giger Samuel
Auch das ist aber noch nichts Ungewöhnliches: Nach zwei Gängen stehen häufig Aussenseiter an der Spitze, die Rangliste hat noch wenig Kontur. Deshalb gab es für Hiltbrunner nun im dritten Gang einen Gegner aus der Kategorie «Topfavorit», den Thurgauer Unspunnensieger Samuel Giger. Hiltbrunner griff zwar auch gegen den übermächtigen Giger frech an, aber unterlag dennoch klar. Mit der Note 8,5 wurde Hiltbrunner nun zurückgebunden.
Alles in der Reihe also am Mittag – Hiltbrunner war mit 28,5 Punkten zwar weit vorne, aber niemand ahnte, was am Nachmittag passieren sollte.
4. Gang: Hermann Oliver
Nach dem strengen Programm am Vormittag, und weil andere Schwinger nach der Niederlage im dritten Gang wieder zu Hiltbrunner aufschliessen konnten, erhielt er im vierten Gang wieder einen weniger bekannten Gegner: Den Aargauer Oliver Hermann. Man täusche sich nicht: Auch Hermann ist ein starker Mann, er gehört seit Jahren zu den besten Nordwestschweizern und ist keineswegs einfach zu bezwingen. Er hatte 2022 in Pratteln den Eidgenössischen Kranz nur um Haaresbreite verpasst.
Doch Hiltbrunner gelang es auch gegen Hermann zu gewinnen, wieder mit einer 10.
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5. Gang: Schlegel Werner
Nun war Hiltbrunner wieder ganz weit vorne in der Rangliste – entsprechend wurde ihm der zweite ganz grosse Brocken vorgesetzt. Werner Schlegel gehörte am Morgen zu den Topfavoriten auf den Festsieg. Zwar legte er einen Fehlstart hin und war nach vier Gängen nicht in den vordersten Ranglistenregionen, aber die Aufgabe Hiltbrunner war für ihn – scheinbar – Formsache.
Doch der junge Emmentaler legte in diesem Gang den Grundstein zur Sensation: Er konterte Schlegel kurz vor Schluss aus und gewann zum vierten Mal platt – wieder gabs eine 10. So lag der 19-jährige Berner plötzlich punktgleich mit Fabian Staudenmann und Armon Orlik auf dem ersten Rang und hätte sogar in den Schlussgang einziehen können. Dort wurden ihm die beiden renommierteren Schwinger vorgezogen.
6. Gang: Wicki Joel
Nun war Hiltbrunner plötzlich im Fokus: Als Co-Führender nach fünf Gängen besteht immer die Möglichkeit, das Fest zu gewinnen, auch wenn man den Schlussgang nicht bestreitet. Mit einem Sieg mit der Maximalnote kann man sogar frühzeitig den Festsieg sicherstellen. Aber die Aufgabe für Hiltbrunner wurde nicht einfacher: Niemand geringeres als Schwingerkönig Joel Wicki musste er bezwingen, um den Sieg zu holen. 95 Prozent der Leute erwarteten, dass ihm von Wicki nun – endlich – die Grenzen aufgezeigt würden.
Doch ein weiteres Mal überraschte Hiltbrunner, konterte Wicki nach allen Regeln der Schwingkunst aus und legte den Luzerner platt auf den Rücken. Die Sensation war perfekt – Festsieg, Sprachlosigkeit, Kopfschütteln, Tränen der Freude.
Quelle: TVO / CH Media Video Unit / David Walder
Fazit: Ein verdienter Sieg
Es gibt manchmal Schwingfeste, bei denen ein Schwinger etwas unter dem Radar durchgeht, nicht die schwierigsten Aufgaben lösen muss und auf einmal ganz vorne steht. Manchmal profitiert einer auch, wenn die Gegner ihre Gänge reihenweise stellen und sich damit gegenseitig die Punkte wegnehmen.
Das alles war bei Hiltbrunner am Sonntag nicht der Fall. Er hatte mit Giger, Schlegel und Wicki drei der Topfavoriten als Gegner und konnte zwei der drei schlagen. Hiltbrunner hat ganz einfach den Tag seines Lebens eingezogen. Weil er erst 19 ist, hat er nun genug Zeit, diesen enormen Erfolg in den nächsten Jahren zu bestätigen. Das Talent dazu hat er auf jeden Fall.
Und dank Co-Sieger Fabian Staudenmann und dem erfahrenen Klubkollegen Matthias Aeschbacher hat er genug Leute im Umfeld, die die dünne Luft ganz oben an der Spitze schon seit Jahren einatmen.
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