Weltnaturgipfel in Kanada

Ist die Abschlusserklärung der erhoffte Durchbruch für Artenvielfalt?

· Online seit 19.12.2022, 14:03 Uhr
Zwei Wochen lang haben Vertreter von rund 200 Staaten auf dem Weltnaturgipfel in Kanada um ein neues Abkommen für den Artenschutz gerungen. Lange sah es nicht so aus, als ob ein Kompromiss zustande kommt, doch dann wurde am Montag doch noch eine Abschlusserklärung verabschiedet. Hier die wichtigsten Antworten zum neuen Vertrag.
Anzeige

Die Staatengemeinschaft will bis 2030 mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen unter Schutz stellen. Auf dieses Ziel einigten sich am Montag nach rund zweiwöchigen Verhandlungen die rund 200 Teilnehmerstaaten des Weltnaturgipfels nach einem Verhandlungsendspurt im kanadischen Montreal. Ausserdem setzten sie sich darin unter anderem das Ziel, mehr Geld für den Schutz der Artenvielfalt ausgeben zu wollen. Dafür sollen unter anderem reichere Länder ärmeren Ländern bis 2025 rund 20 Milliarden Dollar jährlich zukommen lassen.

Nach der Verabschiedung des rechtlich nicht bindenden Dokuments brach bei der Plenarsitzung Klatschen und lauter Jubel aus. Organisatoren, Wissenschaftler und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen hatten bis zuletzt gehofft, dass bei dem Treffen noch ein richtungsweisendes globales Abkommen für den Artenschutz verabschiedet werden kann.

Die chinesische Gipfelpräsidentschaft sprach von einem «historischen Moment». Die Abschlusserklärung strahle Entschlossenheit aus, sagte die deutsche Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne). «Die Staatengemeinschaft hat sich dafür entschieden, das Artenaussterben endlich zu stoppen.»

Das Abkommen ist laut dem Umweltbotschafter der Schweiz ein grosser Erfolg. Die Schweiz hätte sich in einigen Punkten aber noch ambitioniertere Ziele gewünscht. «Mit dem Abkommen ist ein wichtiger Schritt für die Artenvielfalt gelungen», sagte Franz Perrez, Umweltbotschafter des Bundesamts für Umwelt (Bafu), auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Perrez führte in Montreal für die Schweizer Delegation die Verhandlungen.

Greenpeace und WWF sehen ersten positiven Schritt

Bei Vertretern von Nichtregierungsorganisationen stiess das Abkommen dagegen auf geteilte Reaktionen. «Es ist als Erfolg zu bezeichnen, dass nach zähen Verhandlungen der Vertragsstaaten überhaupt eine Vereinbarung zustande gekommen ist», kommentierte Jannes Stoppel von Greenpeace.

Es handele sich um ein «lückenhaftes, aber letztlich überraschend gutes Rahmenwerk», sagte Florian Titze vom Umweltverband WWF Deutschland. In Anlehnung an die im Vorfeld der Konferenz vielfach geäusserte Hoffnung auf einen «Paris-Moment» - darauf, dass bei der Konferenz ein ähnliches Abkommen für den Artenschutz wie das Paris-Abkommen für den Klimaschutz herauskommen könnte - sprach Titze von einem - etwas abgeschwächten - «Montreal-Moment». Georg Schwede von der Organisation Campaign for Nature sagte, das Abkommen biete die Chance, «die so dringend notwendige Trendwende zur Bewältigung der Biodiversitätskrise einzuleiten».

Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:

Was wurde auf dem auch als COP15 bezeichneten Gipfel beschlossen?

Die Abschlusserklärung ist eigentlich ein Paket aus mehreren Dokumenten, die insgesamt 4 Vorsätze und 23 Zielsetzungen umfassen. Unter anderem sollen bis 2030 mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen unter Schutz gestellt werden. Ausserdem soll mehr Geld für den Schutz der Artenvielfalt ausgegeben werden. Dafür sollen beispielsweise reichere Länder ärmeren Ländern bis 2025 rund 20 Milliarden Dollar jährlich spenden. Die Gefährdung von Mensch und Umwelt durch Pestizide soll bis 2030 halbiert und umweltschädliche Subventionen abgebaut werden.

Was bedeutet das 30-Prozent-bis-2030-Ziel konkret?

Es soll «sichergestellt und ermöglicht» werden, so heisst es im Text der Erklärung, dass bis 2030 auf der Erde mindestens 30 Prozent der Landflächen, der Binnengewässer und der Küsten- und Meeresflächen «wirkungsvoll konserviert» werden. Das soll wo möglich auch in Zusammenarbeit mit indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften passieren. Die «30 bis 30»-Zielsetzung galt schon im Vorfeld als herausragend wichtig, ihre Verabschiedung feiern Umweltschützer als grossen Erfolg. «Ein Biodiversitäts-Ziel von diesem Ausmass gab es noch nie», sagt Brian O’Donnell von der Organisation Campaign for Nature. Kritisiert wird allerdings, dass im Text zu wenig spezifiert sei, was «wirkungsvoll konserviert» eigentlich genau bedeute.

Warum haben die Verhandlungen so lange gedauert, wo gab es Probleme?

Meinungsverschiedenheiten gab es an allen Ecken und Enden. Einige Länder wollten die Formulierungen gerne vage halten, andere wünschten sich klare, messbare Ziele. Vor allem aber gab es Differenzen bei der Finanzierung. Viele ärmere Länder forderten deutlich mehr finanzielle Unterstützung von reicheren Ländern. Aus Protest hatte eine Gruppe von Entwicklungs- und Schwellenländern, angeführt von Brasilien, die Verhandlungen sogar zeitweise verlassen. Letztendlich wurde nach einem Verhandlungsmarathon im Kongresszentrum im winterlich verschneiten Montreal zum Schluss ein Kompromiss gefunden.

Ist die Erklärung jetzt der Durchbruch - oder eine Enttäuschung?

Es ist ein Erfolg, dass es überhaupt zu einer gemeinsamen Abschlusserklärung gekommen ist - da sind sich Teilnehmer, Experten und Beobachter einig. Aber während die chinesische Gipfelpräsidentschaft von einem «historischen Moment» sprach, sahen andere das deutlich kritischer. «Die Welt rast in der Natur- und Klimakrise auf einen Abgrund zu», warnte beispielsweise der Präsident des deutschen Naturschutzbundes Nabu, Jörg-Andreas Krüger. «Doch statt entschieden zu bremsen, geht sie lediglich etwas vom Gas.»

Auf was kommt es jetzt an?

Einig sind sich alle, dass das Abkommen erst der Anfang ist. Jetzt geht es an die Umsetzung - und die dürfte deutlich schwieriger werden. Das Dokument ist rechtlich nicht bindend und viele Zielsetzungen darin sind recht vage gehalten. Jeder Teilnehmerstaat muss nun schauen, wie er die Ziele konkret für sich umsetzt. Das sei das wirklich Wichtige, hatte die Chefin der UN-Biodiversitätskonvention, Elizabeth Maruma Mrema, schon im Vorfeld angemahnt. Ansonsten sei die Abschlusserklärung nicht mehr als «ein schönes Dokument, mit dem wir unsere Regale schmücken können».

(sda/baz)

veröffentlicht: 19. Dezember 2022 14:03
aktualisiert: 19. Dezember 2022 14:03
Quelle: Today-Zentralredaktion

Anzeige
Anzeige
baerntoday@chmedia.ch