Bern

Schullandschaft in Münsingen: Künftig gibt es keine Sek und Real mehr

Integratives Modell

Münsingen und Signau legen Real und Sek zusammen

10.06.2024, 19:10 Uhr
· Online seit 27.05.2024, 16:27 Uhr
Die Gemeinde Münsingen verfolgt auf das nächste Schuljahr hin eine neue Bildungsstrategie: Sie will die Real-, Sekundar- und Sonderklassen abschaffen, dasselbe hat am Wochenende Signau beschlossen. Auch andere Gemeinden fahren bereits mit diesem Modell. Doch was bedeutet das für Kinder und Lehrerschaft?

Quelle: TeleBärn

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Die neue Münsinger Bildungsstrategie sieht vor, dass die Kinder der 7. bis 9. Klassen nicht mehr selektiert werden. Das heisst, alle Kinder gehen zusammen zur Schule. Gleichzeitig werden die Sonderklassen für schlechtere Schülerinnen und Schüler abgeschafft. Dadurch sollen laut der Gemeinde die Klassen «niveaugemischt» sowie «integrativer» werden.

Stigmatisierung vermeiden

Das Modell ist nicht neu. Was in Münsingen auf das neue Schuljahr hin eingeführt werden soll, ist beispielsweise in Grosshöchstetten schon gang und gäbe. Doch wieso wechseln Schulen auf ein solches System?

Die Gründe sind verschieden: Einerseits hätten die Kinder mehr Gelegenheit zu sozialem Lernen in heterogenen Gruppen, wie der zuständige Münsinger Gemeinderat Urs Baumann gegenüber «Bern-Ost» erklärt. Verschiedene Untersuchungen hätten gezeigt, dass der Lernerfolg der Kinder mindestens gleich gross ist, wenn sie in heterogenen Gruppen sind. Bei einigen sei er gar grösser.

Nicht nur die Real und die Sek soll es in Münsingen künftig nicht mehr geben, auch Klassen für besondere Förderung und Einführungsklassen sollen aufgehoben werden. Die betroffenen Kinder werden in die Regelklassen integriert, die Stigmatisierung falle dadurch weg. Im Idealfall sollte sich zusammen mit der Lehrperson ein Heilpädagoge um die Klasse kümmern.

«In der Schweiz wird zu früh selektioniert»

Der Berufsverband Bildung Bern begrüsst, dass Schulen ein Modell wählen, das zu ihnen passt und in dem die pädagogische Haltung der Schule gelebt und umgesetzt werden kann. Die Leiterin Pädagogik, Franziska Schwab, erklärt: «Die Forschung zeigt ziemlich klar, dass in der Schweiz zu früh selektioniert wird – mit Ausnahme der Kantone Genf und Tessin.» Im Sinne der Chancengerechtigkeit sei es theoretisch ein Vorteil, wenn alle Schülerinnen und Schüler zusammen bleiben bis zum Ende der Volksschule.

In der Praxis müssten aber gewisse Bedingungen erfüllt sein, damit ein integratives Modell wirksam umgesetzt werden kann. «Zum Beispiel müssen genügend gut ausgebildete Lehrpersonen unterrichten und das Betreuungsverhältnis muss stimmen». Wichtig sei es, dass ein solches Modell breit abgestützt sei. Beteiligte müssten mitreden können.

Herausforderung Heterogenität

Das Modell bietet Vor- und Nachteile. Einer der Nachteile: der Fachkräftemangel. «Bildungsqualität bedingt gut ausgebildete Lehrpersonen. Und wir haben nicht genügend», so Franziska Schwab, welche mit dem Verband die Bildungsinitiative lanciert hat. Diese strebt bessere Rahmenbedingungen an.

Ausserdem sei eine grosse Heterogenität in den Klassenzimmern für Lehrpersonen herausfordernd. Deshalb sei es umso wichtiger, dass die Lehrpersonen professionell ausgebildet und die Schülergruppen nicht zu gross sind. «Auf alle Schüler jederzeit eingehen, kann kein Mensch.» Aber: Das integrative Modell biete mehr Chancengleichheit und Potentiale würden nicht zu früh «verloren» gehen. Total separative Modelle sterben laut der Leiterin Pädagogik beim Berufsverband Bildung Bern aus. «Weil man aus der Forschung weiss, dass sie, gesamtheitlich betrachtet, mehr Nachteile haben.»

Es gibt aber auch grundlegende Kritik am Modell ohne Selektion, etwa vom bekanntesten Lehrer der Schweiz, dem Bieler Alain Pichard. Es handle sich um eine «Bildungsrevolution von oben», die in den Klassenzimmern nicht funktioniere. Das Hauptproblem seien fehlendes Leseverständnis der Schülerinnen und Schüler, Reformen würden nur unnötige Ressourcen brauchen.

veröffentlicht: 27. Mai 2024 16:27
aktualisiert: 10. Juni 2024 19:10
Quelle: BärnToday

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