Abtreibungen

«Die Fristenregelung ist eine Errungenschaft für Frauen»

· Online seit 27.09.2022, 19:08 Uhr
Zum 20-jährigen Jubiläum der Fristenregelung fordert die Organisation Sexuelle Gesundheit Schweiz die Entkriminalisierung von Abtreibungen. Zukünftig sollen Schwangerschaftsabbrüche nicht mehr im Strafgesetz abgehandelt werden.

Quelle: BärnToday / Lara Aebi & Warner Nattiel

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Der 1. Oktober 2002 markierte einen Meilenstein für die Schweizer Frauen: Die Fristenregelung zum Schwangerschaftsabbruch trat in Kraft, nachdem das Schweizer Stimmvolk eine entsprechende Volksinitiative mit 72,2 Prozent Ja-Stimmen deutlich angenommen hatte. Die Fristenregelung ermöglichte es Frauen aller Schweizer Kantone, während der ersten zwölf Schwangerschaftswochen frei zu entscheiden, ob sie ihre Schwangerschaft fortsetzen oder abbrechen. Zuvor war dies in konservativen Kantonen nicht möglich.

Das zwanzigjährige Jubiläum der Fristenregelung wurde am Dienstag im Hotel Bern in der Berner Altstadt gefeiert: Justizministerin Karin Keller-Sutter, Parlamentarierinnen und Parlamentarier sowie Fachpersonen und Vertreterinnen von zivilgesellschaftlichen Behörden trafen sich, um über den langen Weg bis zur Annahme der Fristenverlängerung zu sprechen, aber auch, um das Verbesserungspotenzial der heutigen Regelungen zu diskutieren.

Selbstbestimmung und Entkriminalisierung gefordert

So fordert der Verein Sexuelle Gesundheit Schweiz (SGCH), dass Abtreibungen nicht mehr im Strafgesetzbuch abgehandelt werden. «20 Jahre sind genügend Zeit, um eine Bilanz zu ziehen – wir benötigen das «Damoklesschwert» Strafrecht nicht mehr. Wir können jetzt dazu übergehen, ein Gesundheitsgesetz auszuarbeiten, welches die Bedingungen auf den Tisch bringt, dass Betroffene selbstständige Entscheidungen fällen können», erklärt Barbara Berger, Geschäftsleiterin des Vereins.

Léonore Porchet, SGCH-Präsidentin und Nationalrätin der Grünen aus dem Kanton Waadt, hat am 2. Juni – zum 20-jährigen Jubiläum der Annahme der Fristenregelung – eine entsprechende Initiative eingereicht. Zudem lancierte der SGCH am 12. September die Petition «Meine Gesundheit – meine Wahl», die fordert, Abtreibungen als Frage der Gesundheit und nicht der Strafe zu betrachten und die Selbstbestimmung der betroffenen Frauen zu garantieren.

Der Anlass sei aber auch eine Gelegenheit, um zurückzublicken, findet die Berner Nationalrätin Natalie Imboden. «In anderen Ländern ist das Recht auf Abtreibung plötzlich in Frage gestellt. Deshalb ist es wichtig, Rückschau zu halten – viele Generationen von Frauen und solidarischen Männern haben dafür gekämpft.»

Auch Bundesrätin Karin Keller-Sutter findet es gut, dass parlamentarische Gruppen daran erinnern. «Damals herrschte die Befürchtung, dass die Annahme der Fristenregelung zu leichtfertigen Schwangerschaftsabbrüchen führt. Heute weiss man, dass es ein ernsthafter Entscheid ist.»

Zwei Konter-Initiativen eingereicht

Dennoch: Das Thema Schwangerschaftsabbrüche politisiert. Mit der «Lebensfähige-Babys-retten-Initiative» und der «Einmal-darüber-schlafen-Initiative» wurden von den SVP-Nationalrätinnen Yvette Estermann und Andrea Geissbühler zwei Initiativen eingereicht, die den Prozess des Schwangerschaftsabbruchs erschweren. Die Sammelfrist beider Initiativen läuft bis Ende Juni 2023.

Diese Einschränkungen hält Nationalrätin Imboden für kontraproduktiv. «Es wird immer Schwangerschaftsabbrüche geben – wichtig ist, dass sie in einem guten Rahmen durchgeführt werden können.»

Auf internationaler Ebene löste der Entscheid des Supreme Courts, den Präzedenzfall «Roe vs. Wade» zu kippen und damit Abtreibungen in einzelnen US-Staaten de fakto zu verbieten, im Juni weltweite Empörung aus. US-Präsident Joe Biden betrachtete das Urteil als «tragischen Fehler».

Diesen Weg in die Vergangenheit, den die USA eingeschlagen habe, wolle man in der Schweiz nicht gehen, betonte Yvonne Gilli, Präsidentin des Berufsverbands für Schweizer Ärztinnen und Ärzte, in ihrer Rede. «Die WHO verlangt die vollständige Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs und dessen Entfernung aus dem Strafrecht. Damit wird garantiert, dass sich weder Gesundheitsfachpersonen noch betroffene Frauen strafbar machen.»

veröffentlicht: 27. September 2022 19:08
aktualisiert: 27. September 2022 19:08
Quelle: BärnToday

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