Im Zeitraum zwischen Januar und Juni 2022 wurden so wenig Kinder im Verhältnis zur Bevölkerung geboren wie seit Messbeginn vor 150 Jahren: Die Geburtenrate liegt im ersten Halbjahr historisch tief, wie die Geburtenstatistik des Bundesamts für Statistik (BFS) zeigt. Auch im Kanton Bern wurden zwar weniger Geburten registriert, die Geburten im Monat Juni lagen mit 780 Lebendgeburten nur 4 Prozent unter jenen vom selben Monat des Vorjahres.
Impfskeptikerinnen und -skeptiker begründen den Geburten-Einbruch mit der Corona-Impfung. So wurde beispielsweise Konstantin Beck, gesundheitsökonomischer Berater und Titularprofessor an der Universität Luzern, in Medien wie der «Weltwoche» zitiert. Darin erachtet Beck die Corona-Impfung als «plausiblen Grund» für den historisch tiefe Anzahl Lebendgeburten.
Jetzt muss sich auch die Berner Politik mit dieser Thematik beschäftigen. Anfang September wurde im Grossen Rat des Kantons Bern eine Interpellation mit dem Titel «Grösster Einbruch der Geburtenzahl seit 150 Jahren – Ist die Covid-Impfung die Ursache?» eingereicht – mit Antrag auf Dringlichkeit. Die Interpellation stammt aus der Feder von einzelnen Vertreterinnen und Vertretern einer ungewöhnlichen Allianz aus EDU, SVP und Grünen.
Interpellation für dringlich erklärt
Das Büro des Grossen Rates hat dem Antrag auf Dringlichkeit der Interpellation stattgegeben. «Im Grossen Rat eingegangene Vorstösse werden jeweils individuell nach ihrer Dringlichkeit beurteilt – zuerst vom Regierungsrat, danach von uns», heisst es aus dem Büro des Grossen Rats. Sowohl Ratsbüro als auch Regierungsrat haben dem Antrag auf Dringlichkeit stattgegeben, jedoch ohne einen konkreten Grund dafür zu nennen.
Sprecher der fünf Interpellantinnen und Interpellanten ist Samuel Kullmann, Grossrat EDU aus Thun. Er begründet den Antrag auf Dringlichkeit auf Anfrage von BärnToday wie folgt: «Im Juni 2022 gab es leider wieder einen Taucher bei der Geburtenzahl, der Erholungstrend konnte also (noch) nicht bestätigt werden.»
Den Zusammenhang zwischen dem Geburtenrückgang und Covid-Impfungen stützt der Interpellationstext auf folgende Beobachtungen: Einerseits sei der Geburtenrückgang ziemlich genau neun Monate nach Beginn der Erstimpfungen für die Altersgruppe 20 bis 49 Jahre zu beobachten, andererseits zeige der Regionen-Vergleich einen Zusammenhang zwischen dem Geburtenrückgang und der Impfquote.
Kein Zusammenhang mit Covid-Impfung
Das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic sieht keinen Zusammenhang zwischen dem Geburtenrückgang und der Covid-19-Impfung. Auf Anfrage heisst es dort: «Es gibt weder aus den fortlaufenden Zulassungsstudien noch aus der weltweiten Marktüberwachung wissenschaftliche Hinweise, dass auf mRNA-Technologie basierende Impfstoffe zur Vorbeugung von Covid-19 die menschliche Fruchtbarkeit beeinträchtigen könnten. Auch aus der Schweiz hat Swissmedic dazu keinerlei Sicherheitssignale.»
Im Interpellationstext wird zwar darauf hingewiesen, dass durch «reine Korrelation der Daten» nichts über die Ursache der Geburtenrückgänge ausgesagt werden kann, dennoch wird der Regierungsrat dazu aufgefordert, die Impfempfehlungen anzupassen, solange «die Covid-Impfung als Ursache für den historischen Geburtenrückgang nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann».
Ursachen für Geburtenrückgänge vielfältig
«Ein denkbarer Grund für den Rückgang kann die Krankheit sein – und nicht die Impfung», erklärt Swissmedic. Es könne sein, dass eine Covid-Infektion die Fruchtbarkeit bei Männern vorübergehend reduziere. «Internationale Studien verweisen auf eine teils verminderte Spermienproduktion, Erektionsstörungen sowie einen starken Testosteronmangel bei Männern, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben», gibt das Heilmittelinstitut bekannt. Die Studie «A Prospective Cohort Study of COVID-19 Vaccination, SARS-CoV-2 Infection, and Fertility» sage aus, dass Männer nach einer Covid-Erkrankung mindestens 60 Tage benötigen, um wieder so fruchtbar zu werden wie nicht Infizierte.
Aber: Geburtenrückgänge seien in der Vergangenheit immer wieder vorgekommen und könnten viele Ursachen haben, auch oder gerade wegen des Weltgeschehens, so Swissmedic.
Grüne Parteichefin gibt Kontra
Eingereicht wurde die Interpellation von Politikerinnen und Politikern der EDU, SVP und auch von den Grünen. Dass beispielsweise Letztere alles andere als geschlossen hinter dem Vorstoss stehen, zeichnet sich bereits ab, wie der Tweet der Berner Grünen-Präsidentin und Nationalrätin Natalie Imboden zeigt.
Keine Sorge. Als @gruenebern sind wir sehr wohl faktenbasiert, was wir in Covid-Zeiten klar gezeigt haben. Es ist nicht anzunehmen, dass die Grüne Fraktion das unterstützt. Persönlich distanziere ich mich von solch unseriösen und unwissenschaftlichen Fakenews!
— Natalie Imboden (@natalieimboden) September 12, 2022
Der Berner Regierungsrat wird die Antworten zur eingereichten Interpellation in der Wintersession veröffentlichen.
(lae/ris)