Bern

In diesem Berner Alterszentrum sorgt Cannabis für mehr Lebensqualität

«Uraltes Heilmittel»

In diesem Berner Alterszentrum sorgt Cannabis für mehr Lebensqualität

18.01.2023, 17:22 Uhr
· Online seit 12.12.2022, 16:25 Uhr
Alle zwei Jahre verleiht die Stiftung zur Förderung der Krankenpflege im Kanton Bern eine Auszeichnung für besonders innovative Arbeiten und pflegerische Leistungen. Diesjährige Preisträgerinnen sind die Pflegefachfrauen Larissa Blatter und Gabriela Hofstetter, die im Alterszentrum Ins das Projekt «Cannabis in der Langzeitpflege» initiiert haben.
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Cannabis als Heilmittel? Dieser Gedanke ist uralt. Bereits im chinesischen «Buch des Shennong von den Heilpflanzen» aus dem 2. oder 3. Jahrhundert n. Chr. wird die Cannabisblüte als Heilmittel für Krankheiten wie Gicht, Rheumatismus oder Malaria erwähnt. Und doch ist im 21. Jahrhundert der Bezug der Pflanze zu medizinischen Zwecken noch immer erschwert – obwohl zahlreiche Studien untermauern, dass die Pflanze in vielen Krankheitsdiagnosen eine Verbesserung der Lebensqualität bewirken kann.

Diese Erfahrung haben auch die zwei Pflegefachfrauen HF Larissa Blatter und Gabriela Hofstetter vom Alterszentrum Ins gemacht: Sie lancierten das Projekt «Cannabis in der Langzeitpflege», um zu untersuchen, ob Bewohnerinnen und Bewohner des Alterszentrums durch die Gabe von Cannabis-Öl die Anzahl der eingenommenen Medikamente reduzieren können, ob die vorhandenen Symptome dabei gelindert und die Lebensqualität der Betroffenen dadurch gesteigert werden kann. Das Öl besteht je zur Hälfe aus dem berauschend wirkenden Tetrahydrocannabinol (THC) und dem auch in Kiosken erhältlichen Cannabidiol (CBD). Fazit? «Erstaunlich positiv», so das Projekt-Abstract des Alterszentrum Ins. «Cannabis in der Langzeitpflege» erhielt nun am Montag von der Stiftung zur Förderung der Krankenpflege im Kanton Bern den Pflegepreis 2022.

So funktioniert die Projektstudie

Während des Projekts wurden rund zehn Teilnehmenden im Alter zwischen 79 und 91 Jahren von November 2020 bis April 2021 durch eine Pflegefachperson dreimal täglich ein paar Tropfen Cannabis-Öl mittels Pipette direkt unter die Zunge geträufelt.

Im Vorfeld der Studie eruierten Blatter und Hofstetter, welche Bewohnerinnen und Bewohner geeignet wären. «Wir haben uns dabei auf Personen mit Symptomen wie Depressionen, Demenz oder chronischen Schmerzen beschränkt, die auf verschiedene Medikamente angewiesen sind», erklärt die Pflegefachfrau.

Die Resultate der Studie seien überwiegend positiv ausgefallen. «Was uns sehr erstaunte war, dass die Bewohnenden sehr offen wurden», erzählt Larissa Blatter, Mitinitiantin des Projekts. «Sie haben mehr Kontakt gesucht, nahmen andere Personen mehr wahr, wurden aufmerksamer – man kann fast sagen, sie kamen zurück auf die Welt. Die Bewegungen von Personen mit spastischen Symptomen, also erhöhtem Widerstand in den Muskeln, wurden weicher. Medikamente wie Antidepressiva oder Opiate konnten reduziert oder gar durch das Cannabis-Öl gestoppt werden», erzählt Blatter. Die Lebensqualität insgesamt sei deutlich gestiegen.

«Wichtig, dass Cannabis aus seiner Verfluchung kommt»

Trotz aller positiven Effekte: Cannabis ist nach wie vor umstritten. Wie kann ein solch polarisierendes Thema den Pflegepreis 2022 gewinnen? Ausschlaggebend waren laut Caterina Riva, Stiftungsratspräsidentin der Stiftung zur Förderung der Krankenpflege im Kanton Bern, zwei Gründe: «Das Projekt wurde zum einen honoriert, weil das Alterszentrum mutig genug war, ein solch innovatives Projekt überhaupt durchzuführen und sogar in die Öffentlichkeit zu tragen. Andererseits wurde es formal perfekt durchgeführt und sowohl die Auswahl der Teilnehmenden wie auch die Kommunikation mit deren Angehörigen lief sehr respektvoll ab.» Die Projektstudie sei vom gesamten Stiftungsrat einstimmig zum Siegerprojekt erwählt worden.

Es sei wichtig, dass das Thema Cannabis langsam aus seiner Verfluchung herauskomme, betont Riva. «Cannabis ist ein uraltes Heilmittel – wir als Fachkräfte wären froh, wenn wir es auch als solches einsetzen dürften.» Warum hat das Wort – wider aller belegten positiven Effekte im medizinischen Bereich – noch immer einen solch schlechten Ruf? «Schuld trägt sicher der Überkonsum, der zu Verwahrlosung sowie Bildungs- und Arbeitsunfähigkeit führt – insbesondere bei jüngeren Personen», meint Riva. Die Kriminalisierung von Cannabis – verglichen mit jener von Alkohol oder Zigaretten – habe vieles kaputt gemacht. «Über die Folgen von Alkohol spricht niemand. Wenn man volljährig aussieht, wird das Geld dafür gerne genommen.»

Medizinisches Cannabis ist seit August nicht mehr verboten

Die Hürden, um Cannabis medizinisch zu verwenden, sind dieses Jahr aber entscheidend tiefer geworden. Seit 1. August ist das Verbot der Verwendung von Cannabis zu medizinischen Zwecken vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) aufgehoben worden. Soll heissen: Ärztinnen oder Ärzte, deren Patienten zu medizinischen Zwecken Cannabis konsumieren möchten, benötigen keine Ausnahmebewilligung mehr durch das BAG. Dennoch verlangt das Bundesamt während der ersten beiden Behandlungsjahre eine Meldung der Therapiedaten.

Auch nicht-medizinisches Cannabis wird bereits kontrolliert abgegeben: In Basel läuft zurzeit ein Pilotversuch zum Verkauf von Cannabis in Apotheken. Das Projekt wurde gemeinsam von der Universität Basel, den Universitären Psychiatrischen Kliniken und dem Gesundheitsdepartement Basel-Stadt lanciert. Ziel ist, erste Erkenntnisse für die künftige Regelung von Cannabis zu sammeln. Das Projekt wird wissenschaftlich und unter strengen Auflagen begleitet. Wann nicht-medizinisches Cannabis in der Schweiz tatsächlich legal konsumiert werden darf, steht momentan noch in den Sternen.

veröffentlicht: 12. Dezember 2022 16:25
aktualisiert: 18. Januar 2023 17:22
Quelle: BärnToday

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