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Kanton Bern

Kanton Bern entzieht Hausarzt von Boltigen die Arbeitsbewilligung - so reagiert die Bevölkerung

Bewilligung entzogen

«Es ist eine Schweinerei»: Bevölkerung von Boltigen steht ohne Hausarzt da

23.11.2023, 13:04 Uhr
· Online seit 21.11.2023, 10:57 Uhr
Nach langer Suche atmete die Gemeinde Boltigen im vergangenen Frühling auf – das Dorf im Simmental wurde auf seiner Suche nach einem neuen Hausarzt endlich fündig. Und nun das: Der Kanton Bern entzieht Mohammed Hussain Al Saad die Bewilligung zur selbständigen Führung einer Praxis. Der Schock in der Gemeinde ist riesig.

Quelle: BärnToday / Mirjam Klaus / Warner Nattiel

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«Die Hiobsbotschaft erreicht den Gemeinderat Boltigen gestern am späteren Nachmittag», schreibt die Gemeinde am Dienstag in einer Mitteilung. «Mit Verfügung vom 20. November 2023 hat das Gesundheitsamt des Kantons Bern Mohammed Hussain Al Saad die Berufsausübungsbewilligung mit sofortiger Wirkung entzogen», heisst es weiter. Damit sei Al Saad die Tätigkeit als Arzt «in eigener fachlicher Verantwortung» im Kanton Bern per sofort untersagt.

«Das Engagement der Gemeinde Boltigen und der Wille der Bevölkerung, die Gesundheitsversorgung in Boltigen und Umgebung aufrechtzuerhalten, scheint gescheitert zu sein», so die Simmentaler Gemeinde.

Langjähriger Arzt wird pensioniert

Erst im Mai hatte die Gemeindeversammlung von Boltigen einem Darlehen von bis zu 700'000 Franken zugestimmt, welches die Praxisübernahme ermöglichen sollte, wie die «Simmentalzeitung» berichtete. Der langjährige Hausarzt Robert Härri geht demnächst mit 74 Jahren in Pension. Seit November ist sein Nachfolger Mohammed Hussain Al Saad bereits an den Wochenenden in der Praxis tätig, ab Februar 2024 hätte der 41-Jährige aus Saudi-Arabien die Praxis übernehmen sollen.

Die Freude über den neuen Hausarzt und die damit sichergestellte medizinische Versorgung im 1200-Seelen-Dorf war gross. Al Saad wurde beim Dorfeingang sogar mit einem Plakat willkommen geheissen – «20 Minuten» hatte darüber berichtet.

Galt in Brienz als krankgeschrieben

Doktor Al Saad arbeitete bisher hauptsächlich in einer Gruppenpraxis in Brienz. Diese gehört zur Praxis Gruppe Schweiz AG. Deren Verwaltungsratspräsident ist Joseph Rohrer, der bis 2018 ebenfalls den VR des Inselspitals präsidierte. Er sagt auf Anfrage von BärnToday: «Herr Al Saad hat bei uns in Brienz als Hausarzt in der Inneren Medizin praktiziert. Seit einigen Wochen war er aber krankgeschrieben. Er hätte uns im neuen Jahr in Richtung Boltigen verlassen.» Weshalb Al Saad nun im Kanton Bern die Berufsbewilligung entzogen wurde, kann Rohrer nicht sagen.

Hat es damit zu tun, dass er in Brienz als krankgeschrieben galt und trotzdem bereits in Boltigen praktiziert hat? Die Boltiger Gemeindepräsidentin Anna Bieri bestätigt: «Herr Al Saad ist am 4. November gestartet. Er hat an Wochenenden praktiziert, weil in der aktuellen Zeit immer mehr Leute Medikamente brauchen.» In Boltigen wusste man, dass der Arzt nach wie vor in Brienz angestellt war. Erst jetzt habe man aber von der Krankschreibung erfahren.

Der Kanton Bern habe dem Arzt nicht aufgrund einer Krankschreibung die Bewilligung entzogen, sagt der Sprecher der kantonalen Gesundheitsdirektion Gundekar Giebel auf Anfrage. «Der Kanton wurde am Freitag durch die entsprechende Kommission des Bundesamts für Gesundheit darüber informiert, dass die Weiterbildungstitel des Arztes in der Schweiz nicht anerkennbar sind.» Im Anschluss habe der Kanton sofort reagiert und ihm die Berufsausübungsbewilligung am Montag entzogen. Das bedeute, dass er selber keine Praxis mehr führen darf. Allerdings sagt Giebel auch: «Er ist Arzt, er dürfe nach wie vor als solcher angestellt werden.»

Nächster Nackenschlag für die Region

Erst am Sonntag hatte eine Patt-Situation in Lauenen dafür gesorgt, dass das Gesundheitsnetz Simme Saane scheiterte. Dieses wollte das Spital Zweisimmen retten, das nun ebenfalls in der heutigen Form nicht mehr weiter bestehen kann. Die Bevölkerung in Boltigen hatte klar für das Netzwerk gestimmt – jetzt verliert sie nicht nur das nahegelegene Spital, sondern wohl auch den neuen Hausarzt. Gemeindepräsidentin Anna Bieri ist konsterniert: «Es ist tragisch und ein Schock für unser Dorf. Ich mache mir grosse Sorgen darüber, wie es mit der Grundversorgung bei uns weitergehen wird.»

(raw/mfu)

veröffentlicht: 21. November 2023 10:57
aktualisiert: 23. November 2023 13:04
Quelle: BärnToday

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