Schwankende Babyrate

Weniger Geburten im Mittelland: «Gibt verschiedene Gründe»

· Online seit 24.10.2023, 17:09 Uhr
Corona, Pillenknick, Zukunftsängste: Um die schrumpfende Geburtenrate drehen sich viele Mythen. Wir haben nachgefragt. Laut Experten aus dem Mittelland sind verschiedene Faktoren für den Rückgang verantwortlich.
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Letztes Jahr kamen in der Schweiz viel weniger Kinder zur Welt. Nach einem kinderreichen Jahr 2021 sind die Geburten in der Schweiz um rund acht Prozent zurückgegangen, wie das Bundesamt für Statistik kürzlich festhält. Im Vergleich zu 2020 (rund 85'900 Geburten) und 2021 (rund 89'600 Geburten), waren es im Jahr 2022 noch gut 82'400 Geburten, wie der Statistik zu entnehmen ist.

Das Bundesamt für Statistik und diverse Medien berichten, dass der massive Geburtenrückgang mit finanziellen Unsicherheiten, Zukunftsängsten und dem kinderreichen Jahr 2021 zusammenhängen könnte. Die Gründe sind aber vielschichtiger, wie zwei Experten der Solothurner Spitäler und des Spitals Emmental erklären.

Familienplanung rückt in den Hintergrund

Im Kanton Solothurn hat man ähnliche Erfahrungen gemacht wie im Schweizer Schnitt. 2021 gab es einen Ausreisser nach oben, wie Stefan Mohr, Chefarzt der Frauenklinik in Solothurn auf Anfrage bestätigt. Und weiter: «Letztes Jahr ist die Geburtenrate wieder um einen Tick zurückgegangen.» Dem Geschäftsbericht der Solothurner Spitäler ist zu entnehmen, dass bei ihnen im Jahr 2021 1665 Kinder zur Welt gekommen sind. 2022 waren es nur noch 1536.

Wirft man einen genaueren Blick auf die Zahlen, fällt auf: Das Alter der Mütter nimmt stetig zu. Lag die Anzahl der über 34-Jährigen Erstgebärenden vor 23 Jahren noch bei 20,5 Prozent, stieg er innerhalb von zehn Jahren auf 29,1 Prozent. 2022 sind es bereits 34,9 Prozent. Über ein Drittel der frischgebackenen Mütter ist also 35 oder älter.

Laut Mohr liege das zu einem grossen Teil daran, dass sich die Lebenswirklichkeit der Menschen verändert habe. «Paare kommen heute nicht mehr nur zusammen, um die Familie zu planen. Die Leute wollen sich auch anderweitig verwirklichen», sagt Mohr.

Dieser Trend sei europaweit zu beobachten. Karriere, Reisen, und berufliche Selbstverwirklichung sind bei vielen inzwischen mindestens genau so wichtig wie die Gründung einer Familie. Ausserdem: «Die Chancen steigen, auch in fortgeschrittenem Alter noch Kinder bekommen zu können. Deshalb verschiebt sich der Kinderwunsch nach hinten», beobachtet der Chef der Frauenklinik der Solothurner Spitäler.

Bleibt der Corona-Peak ein Mythos?

Besonders auffallend ist das Rekord-Geburtenjahr 2021. Es kamen so viele Kinder wie noch nie zur Welt – und das zu einer Zeit, in der viele Leute zuhause bleiben mussten. Es sei schon möglich, dass Paare, die sich so oder so schon Kinder gewünscht haben, ihre Familienplanung zeitlich vorgezogen haben, so Mohr. Das sei legitim und ergebe auch Sinn. Doch er betont weiter: «Wie gross dieser Effekt schlussendlich wirklich war, lässt sich nicht abschliessend klären.»

Dieser Meinung ist auch Thomas Eggimann. Er ist stellvertretender Chef in der Frauenklinik des Spitals Emmental in Burgdorf. Gemäss den Zahlen des Spitals Emmental kamen nämlich 2022 mehr Kinder zur Welt als im Jahr 2021 (825 zu 867 Geburten). «Ich habe von meinen Patientinnen und Patienten nicht gehört, dass sie extra in der Corona-Hochphase Kinder gezeugt hätten, weil sie mehr Zeit gehabt hätten.»

Verhindern Zukunftsängste das Babyglück?

Laut Eggimann spiele der «Pillenknick» aus den 1960er Jahren noch immer eine wichtige Rolle, wenn man das Abfallen der Geburtenrate in den westlichen Ländern betrachte. «Die Einführung der Pille gibt den Frauen die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wann und ob sie Kinder haben möchten. Das ist ein entscheidender Faktor für die sinkende Geburtenrate, die wir auch heute noch beobachten – 40 Jahre später.» Versicherungs-Mathematiker hätten diese Entwicklung schon lange vorausgesagt.

In seinen Sprechstunden nimmt Eggimann eine noch nie dagewesene Angst vor der Zukunft wahr. «Es ist Krieg an verschiedenen Orten, die Inflation wütet weiter und es wird wärmer – viele junge Menschen wollen keine Kinder in diese unsichere Welt setzen», sagt Eggimann. Das seien durchaus nachvollziehbare Sorgen.

Da die Schwankungen bei den Geburten aber eher gering sind, hätten die Geburtenzahlen keinen grossen Einfluss den Bestand des Pflegepersonals und der Hebammen im speziellen – abgesehen vom sonst schon grassierenden Fachkräftemangel in der Pflege.

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veröffentlicht: 24. Oktober 2023 17:09
aktualisiert: 24. Oktober 2023 17:09
Quelle: 32Today

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