Kunstmuseum Bern

«Wir sind viel mehr als das ‹Gurlitt-Museum›»

16.01.2023, 13:07 Uhr
· Online seit 14.01.2023, 06:05 Uhr
2013 wurden beim Rentner Cornelius Gurlitt rund 1500 Kunstwerke entdeckt, die als verloren galten. Sein Vater, ein Nazi-Kunsthändler, hatte die Sammlung angelegt. Gurlitt starb 2014 – und hinterliess seine Werke dem Kunstmuseum Bern. Nun neigt sich die letzte der drei Gurlitt-Ausstellungen dem Ende zu. Wir haben mit der Direktorin Nina Zimmer gesprochen, was das Erbe für das Kunstmuseum Bern bedeutet.
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BärnToday: Was waren die ersten Reaktionen im Kunstmuseum Bern, als man vom überraschenden Erbe erfuhr?

Nina Zimmer: Mein Vorgänger Matthias Frehner erhielt damals den Anruf. Er war gerade an einer Tagung und dachte zuerst: «Das ist ein Scherzanruf.» Es hat ein paar Stunden gedauert, bis allen klar wurde, dass das Kunstmuseum Bern wirklich von der Gurlitt-Sammlung als Erbe eingesetzt worden war.

Die Nachricht schlug Wellen bis in die USA und nach China. Medien aus der ganzen Welt fragten beim Kunstmuseum Bern an. Die Aufmerksamkeit, die es für das Thema gab, war einmalig. Unsere Kolleginnen und Kollegen der Presse- und Medienstelle haben in dieser Zeit extrem viel geleistet und wir alle durften dadurch viel dazulernen.

In welchem Zustand befanden sich die Werke aus Gurlitts Sammlung?

Der grösste Teil der Kunstwerke war in einem sehr guten Zustand. Allerdings gab es in seinem Haus in Salzburg einen Wasserschaden. Da Gurlitt zum damaligen Zeitpunkt schwer herzkrank war, konnte er sich dementsprechend nicht mehr um die Kunstwerke kümmern. Das führte bei einzelnen Kunstwerken zu Schimmelproblemen.

Studierende halfen mit, die Kunstwerke wieder instand zu setzen. Wie kam es dazu und war die Aktion erfolgreich?

In einem ersten Schritt musste der Schimmel entfernt werden. In einem zweiten Schritt musste unter anderem überprüft werden, ob die Schimmelrestaurierung erfolgreich gewesen war. Man wollte ja auch die vorhandenen Kunstwerke im Depot nicht mit Schimmelspuren kontaminieren.

Als wir das erste Mal einen grösseren Umfang von Werken nach Bern übernahmen, mussten wir viele Kunstwerke innert kurzer Zeit bearbeiten. Entsprechend waren wir auf Hilfe angewiesen. Die Hochschule der Künste in Bern, mit der wir eine langandauernde Partnerschaft pflegen, konnte uns Studierende vermitteln. Die Zusammenarbeit mit den Studierenden, die uns während des ganzen Sommers über halfen, war enorm erfolgreich. Für die Studierenden war es eine gute Erfahrung.

Während dieses Prozesses waren die Restaurierungsateliers punktuell auch für Besuchende zugänglich. Man konnte mitverfolgen, wie die Werke bearbeitet wurden. Und miterleben, was es bedeutet, dass das Kunstmuseum Bern den gesamten Bestand geerbt hatte.

Abgesehen von den Kunstwerken: Was war im Nachlass sonst noch so vorhanden? 

Den schriftlichen Nachlass haben wir dem deutschen Bundesarchiv in Koblenz geschenkt. Das ist eine Institution, die in vorbildlicher Weise Archivalien zur deutschen Geschichte aufarbeitet. Alle Briefwechsel, alle relevanten Dokumente, auch Fotografien, die in ferner Zukunft die Grundlage für Forschung sein können, sind inzwischen digitalisiert, aufgearbeitet und für alle zugänglich.

Das Kunstmuseum übernahm den künstlerischen Nachlass von Cornelius Gurlitt. Und auch da war die Bandbreite gross, wie in der aktuellen Ausstellung zu sehen ist. Neben Drucken, Gemälden und Aquarellen sind auch Objekte wie ein Kokosnuss-Bierhumpen aus dem 19. Jahrhundert ausgestellt.

Hatte das Kunstmuseum genug Platz, als es auf einen Schlag 1500 Kunstwerke erbte?

Es handelt sich dabei überwiegend um Werke auf Papier und nicht um 1500 grossformatige Ölgemälde. Vom Volumen her war dies anspruchsvoll, aber zu bewältigen. Die Schwierigkeit bestand darin, dass viele Spezialisten gleichzeitig den Zugang zu diesen Werken brauchten.

Der Platz im Kunstmuseum ist bekanntlich knapp. Besonders was die Restaurierung angeht, haben wir viel zu wenig Arbeitsflächen. Bei Gurlitts Nachlass sind wir entsprechend an unsere Grenzen gestossen. Wir mussten teilweise gar Ausstellungsräume schliessen und sie zu Restaurierungsateliers umfunktionieren. Anders wäre die Erforschung und Bearbeitung der grossen Anzahl von Kunstwerken nicht zu bewältigen gewesen.

Konnte das Kunstmuseum Bern langfristig vom Interesse an Gurlitts Sammlung profitieren?

Durch die Aufmerksamkeit steht das Kunstmuseum Bern nun anders auf der Landkarte da. Viele internationale Journalistinnen und Journalisten reisten an, die zuvor noch nie in Bern gewesen waren. Wir sind nun als «Museum mit dem Gurlitt-Nachlass» auf der ganzen Welt bekannt.

Gibt es noch weitere Gurlitt-Ausstellung oder werden diese Werke jetzt Teil der Dauerausstellungen?

Wir haben jetzt in drei grossen Ausstellungen das Thema bearbeitet. Jetzt ist die letzte Gelegenheit, das Konvolut in der Zusammenschau zu erleben und zu verstehen. Eine weitere grosse Gurlitt-Ausstellung ist nicht geplant. Die Werke werden jetzt in die Sammlung integriert. Die Ölbilder und Skulpturen werden immer wieder in Dauerausstellungen und Präsentation ausgestellt. Werke auf Papier sind aber generell zu fragil, um dauerhaft gezeigt zu werden. Man muss sie vor Licht schützen und sie kommen deshalb nur gelegentlich zur Ausstellung. Das bedeutendste Werk des Legats, das regelmässig sehen wird, ist Cézannes «La Montagne Sainte-Victoire».

Wie steht es nun um die Provenienzforschung (Herkunftsforschung der Werke)? 

Die Provenienzforschung geht weiter. Jetzt konzentrieren wir uns auch auf die Erforschung unserer bestehenden Sammlungen. Wir haben versprochen, dass wir die Forschung auf die ganze Sammlung ausdehnen. Für die Abteilung Provenienzforschung sind das grosse Aufgaben, die in den nächsten Jahren anstehen. Wir werden ein besonderes Augenmerk auf die Erforschung von Werken legen, bei denen wir einen Anfangsverdacht haben.

Was den Gurlitt-Nachlass betrifft, wurden neun Werke restituiert, zwei Werke übergeben und Einigungen für weitere Werke gefunden. Jetzt ist man in Abklärung, was weitere Werke im Konvolut Gurlitt angeht. Noch sind nicht alle Details abgeschlossen und es wird uns noch weiter beschäftigen.

Das Kunstmuseum Bern ist inzwischen bekannt als das Museum mit dem Gurlitt-Nachlass. Ist man auch froh, dass es nun ein Ende hat?

Wir sind natürlich viel mehr als nur das «Gurlitt-Museum». Ohne unsere Sammlung vom Mittelalter bis hin zur Gegenwart, etwa unsere wichtigen Bestände im Bereich 19. Jahrhundert oder unsere Werke von Albert Anker und Ferdinand Hodler, kann man die Schweizer Kunstgeschichte nicht erzählen. Dazu gehören auch die wichtigen Werke zur internationalen Moderne, zum Beispiel den grossen Meret-Oppenheim-Nachlass, die Johannes-Itten-Stiftung oder die Adolf-Wölfli-Stiftung, die bei uns am Haus sind. Wir sind eines der wenigen Schweizer Häuser, die globale Gegenwartskunst sammeln und zeigen. Diese Sammlungen können wir jetzt, da auch unser Neubauprojekt auf dem Weg ist, vor dem Hintergrund einer ganz neuen Wahrnehmung und Bekanntheit neu platzieren.

veröffentlicht: 14. Januar 2023 06:05
aktualisiert: 16. Januar 2023 13:07
Quelle: BärnToday

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