Wörter aus der Nazizeit

«Jedem das Seine» – Weshalb wir diese Redewendungen streichen sollten

10.12.2023, 20:43 Uhr
· Online seit 28.10.2023, 11:04 Uhr
Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Duden durch viele Nazi-geprägte Begriffe ergänzt. Nach dem Krieg wurden die meisten wieder gestrichen. Einige haben sich aber bis heute durchgesetzt und sind schwer wieder aus dem Gedächtnis zu löschen.
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Besonders bei politischen oder ethischen Diskussionen, bei denen zwei Personen nicht derselben Meinung sind, endet das Gespräch oft mit: «Jedem das Seine», um nicht einen Streit anzufangen. Gemeint ist in diesem Zusammenhang oft: «Kann ja jede machen, wie sie will».

Dass der Ausdruck «Jedem das Seine» aber ganz eine andere Bedeutung hat und eigentlich von den Nazis geprägt wurde, ist vielen nicht klar. Natürlich hatten solche Begriffe bereits vor dem Zweiten Weltkrieg eine Bedeutung. Jedoch veränderte sich diese in der NS-Zeit und zuvor harmlose Ausdrücke wurden problematisch.

Jeder bekommt, was er verdient

Der Satz prangte am Haupttor des Konzentrationslagers Buchenwald. Gemeint war der Satz laut deutschen Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) zu dieser Zeit folgendermassen: «Ein Mensch bekommt den Lohn, der ihm gebührt.» In Buchenwald wurden mehr als 56'000 Menschen ermordet. Die Nationalsozialisten gingen davon aus, dass diese Menschen den Tod verdient hätten, da sie nicht der arischen Rasse zugehörig waren.

Der Ausdruck hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg nicht komplett aus dem deutschen Sprachgebrauch entfernt. Nach so langer Zeit wurde an vielen Orten auch die negative Behaftung vergessen. Die BPB schreibt zu solchen Redewendungen: «Sie haben sich so tief eingefressen, dass sie ein dauernder Besitz der deutschen Sprache zu werden scheinen.»

Schon wieder bekommen sie eine Sonderbehandlung

Wie die «Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus» schreibt, war der Begriff «Sonderbehandlung» ein nationalsozialistischer Tarnbegriff für Mord. Dadurch, dass auch die Verwendung dieses Begriffs der SS-Leute fast vergessen ging, wird das Wort heute fast alltäglich verwendet. Eine gute Alternative für das Wort «Sonderbehandlung» wäre die «Extrawurst».

Das ist sowas von 08/15

Ein stinknormaler Pullover oder ein Haarschnitt, den jeder hat. Etwas, das auch während des Ersten Weltkriegs jeder hatte, war die MS 08/15. Das Gewehr der deutschen Streitkräfte hatte einige Fehler, weshalb der Ausdruck «08/15» sich im Sprachgebrauch für nichts Besonderes einbürgerte, wie «Focus online» berichtet.

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Ausserdem mussten die Soldaten mit dem Gewehr immer die gleiche Übung durchführen, was ihnen mit der Zeit langweilig wurde. Somit wurde der Begriff etabliert, für etwas, das langweilig und immer gleich ist.

Du bist so asozial!

Vor allem bei Jugendlichen ist das Wort «Asozial» sehr beliebt. Es wird meist mit gemein oder ungerecht gleichgesetzt. Doch der Ursprung liegt laut «Deutschlandfunk» ebenfalls in der Nazizeit. Menschen, die in den Augen Adolf Hitlers und seinen Anhängern nicht zum geistigen Wachstum der Bevölkerung beitrugen, wurden als asozial bezeichnet.

Das waren Menschen, denen die Nazis nicht das Judentum, Homosexualität oder Behinderung vorwerfen konnten. Asoziale wurden mit einem schwarzen Winkel gekennzeichnet und ebenfalls in Konzentrationslager gebracht.

«Es gibt Wörter aus dieser Zeit, wie ‹Führer›. Die sind sehr kontextabhängig. In der Schweiz kann man sie in gewissen Situationen sagen. In Deutschland würde das eher nicht gehen», erklärt Christof Dejung, Professor für neuste Geschichte an der Universität Bern.

«Dann gibt es natürlich die Wörter die einen rassistischen Hintergrund haben. Zum Beispiel Begriffe wie ‹Neger› oder ‹Mohrenkopf›, ‹Zigeuner›, da gibt es eine ganze Reihe Wörter, die problematisch sind.» Die Debatte darüber, was die nicht diskriminierenden Alternativen zu diesen Wörtern ist, ist noch lange nicht abgeschlossen. Einige Vorschläge liefert «Amnesty International».

Die Wörter zu verbieten wäre falsch

Diese Problematik entsteht laut Dejung nicht erst jetzt. «Welche Leute brauchen welche Wörter für welchen Kontext? Das hat mit der politischen Einstellung oder der Schichtzugehörigkeit zu tun», so der Professor.

«Dass wir uns Gedanken machen, welche Wörter in einem bestimmten Kontext benutzt werden dürfen und welche nicht, das ist ganz normal. Und man will ja auch nicht der sein, der mit dem Finger auf die anderen zeigt, wenn sie ein falsches Wort benutzen, solange die Diskussion innerhalb eines demokratisch-rechtsstaatlichen Diskussionsrahmens bleibt.»

Laut dem Historiker kommt es dabei aber auch auf das Wort an. Wird dies heute als klar rassistisch und abwertend verstanden, sollte man das ansprechen. «Aber es gibt auch Wörter wie KZ, im Schweizer Militär ist es das Krankenzimmer. In Erinnerung an die Massenmorde im Zweiten Weltkrieg würde heute kein Mensch mehr auf die Idee kommen, das Krankenzimmer KZ zu nennen.»

Unproblematisch seien Ausdrücke wie «Jedem das Seine», «Endlösung» oder «Sonderbehandlung» sicher nicht. «Doch jetzt eine schwarze Liste zu erstellen und dann Bestrafungen einzuführen, das ist auch falsch», findet Christof Dejung.

veröffentlicht: 28. Oktober 2023 11:04
aktualisiert: 10. Dezember 2023 20:43
Quelle: ArgoviaToday

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