«The Mona Lisa Project»

Künstliche Persönlichkeitsbildung: Zürcher Beautyklinik schockiert mit neuem Angebot

12.06.2023, 15:26 Uhr
· Online seit 12.06.2023, 12:24 Uhr
Fünf Gesichter weltweit sollen «wirklich schön» sein. Eine Zürcher Schönheitsklinik bietet neu einen Eingriff an, der jungen Frauen eines der Gesichter verpasst. Die operierten Frauen könnten Zwillinge sein. Das Model Tamy Glauser ist entsetzt.

Quelle: ZüriToday / Linus Bauer

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Schöne lange Haare, volle Lippen, ein perfektes Lächeln – Sarah könnte locker als Model durchgehen. Trotzdem ist die Britin mit ihrem Aussehen unzufrieden. «Sie ist wunderschön so, wie sie ist», sagt ihr Freund. Aber ihre Vorstellung von Schönheit wechsle täglich. Das passiere zum Beispiel beim Scrollen durch Instagram-Profile.

«Wenn sie diesen Eingriff für ihr Selbstvertrauen braucht, dann unterstütze ich sie dabei», sagt Sarahs Freund. Die Aussagen stammen aus einem Video der Schönheitsklinik «Pret-a-beaute» (siehe oben). Die Zürcher Klinik mit Standort in Zürich und Thalwil wirbt darin für ein neues Angebot namens Artificial Identity Creation (deutsch: Künstliche Persönlichkeitsbildung). Zu sehen ist, wie Sarah sich dort einem chirurgischen Eingriff mit der neuen Methode unterzieht.

Dies sei kein sanfter Eingriff wie etwa eine Botoxbehandlung, erklärt Karoline Zepter, Fachärztin für ästhetische Medizin, der Klientin im Video. «Es ist eine radikale Transformation.» Diese ermögliche jungen Frauen, «volle Kontrolle über ihre Persönlichkeit» zu erlangen.

Millionen von Social-Media-Reaktionen als Basis

Die Methode basiert auf einem Algorithmus namens «The Mona Lisa Project» mittels Künstlicher Intelligenz. Laut Projektleiter Professor Neil Ramsay überprüfte der Algorithmus Millionen von Social-Media-Reaktionen auf Gesichter. «Dabei kam heraus, dass es weltweit nur fünf Gesichter gibt, die wirklich schön sind.» Eines davon liess sich auch Sarah in einer sechsstündigen Operation verpassen.

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Weiter ist im Video zu sehen, wie Sarah fünf Wochen nach der Operation ihrem Freund und ihrer Familie überglücklich in die Arme fällt. Was genau anders ist an ihrem Gesicht, mag für Laien schwer zu erkennen sein. Deutlich wird die Veränderung am Ende des Werbe-Videos.

Sechs Wochen später besucht Sarah die Klinik in Thalwil zur Nachkontrolle. Sie setzt sich im Wartezimmer neben zwei lesende Frauen – beide könnten ihre Zwillinge sein. Als die Britin am Bahnhof Thalwil nach dem Termin auf den Zug wartet, blickt sie immer wieder zu einer Frau, die soeben die Treppe zum Perron hochgegangen ist. Würde diese die Haare offen und dieselben Kleider tragen wie Sarah – man könnte die beiden Frauen nicht mehr voneinander unterscheiden.

«Kann nicht glauben, dass sowas hier in Zürich passiert»

Das Zürcher Model Tamy Glauser stiess kürzlich auf das Angebot und zeigt sich schockiert darüber. Sie habe eine Weile darüber nachgedacht, ob sie dieses Video teilen solle oder nicht, schrieb sie in einem Instagram-Post. «Das ist eines der erschreckendsten Dinge, die ich jemals gesehen habe. Und ich kann nur sagen: Bitte tut das nicht!!!», warnt sie ihre Follower. Dies sei einfach verrückt. «Und ich kann ehrlich gesagt nicht glauben, dass sowas hier in Zürich passiert.»

Gleicher Meinung sind zahlreiche Follower. «Das ist wirklich krank. So werden alle gleich aussehen. Was ist mit Persönlichkeit und Charakter?», schreibt eine Userin. Einige Kritikerinnen und Kritiker können kaum glauben, dass diese Methode echt ist und hoffen auf ein Satire-Video.

Es gebe kaum mehr Unterschiede

Tamy Glauser hält vom Streben nach dem perfekten Aussehen nichts. «Ich finde es einfach traurig, dass Menschen einem bestimmten Schönheitsideal nacheifern, wenn doch genau die eigene Individualität und eben auch die Imperfektion unsere Schönheit ausmacht», sagt sie gegenüber Today.

Sie stellt fest, dass schon jetzt immer mehr Menschen ähnlich aussehen. Als Beispiel erwähnt sie die US-amerikanische Influencerin Kim Kardashian. «Es gibt sie mittlerweile überall.» Dieses Phänomen falle besonders auf, wenn man in einem Film zum Beispiel aus den 80er-Jahren die Statisten genauer anschaue. «Damals sah jede und jeder total anders aus.»

Als weiteres Beispiel nennt Glauser ihre eigenen Lippen. Diese hätten früher einmal als breit oder als «Schmollmund» gegolten. «Heute entsprechen meine Lippen allerdings eher dem Durchschnitt, weil sich eben viele Frauen schon ganz jung die Lippen aufspritzen lassen.»

«Perfektion ist die Natur selbst»

Jede Person solle tun und lassen, was sie wolle, betont Glauser. «Aber ich denke, dass man sich selbst verliert, eifert man einem Schönheitsideal nach.» Viele Menschen könnten ihr vorwerfen, dass sie als Model ja leicht reden habe. «Dazu muss ich sagen, dass ich mich nie als schön empfand. Das kam erst mit dem Modeln.» Obwohl sie sich unschön und unattraktiv gefühlt habe, habe sie sich so gemocht, wie sie sei. Jedenfalls empfehle sie Schönheits-OPs nur dann, wenn man die eigene Schönheit unterstreichen wolle. «Lieber, als etwas zu werden, das man nicht ist.»

Glauser hofft, dass sich niemand einer Artificial Identity Creation unterzieht. «Aber das ist wohl Wunschdenken.» Die Frage sei auch, wo solche Eingriffe hinführten. «Wird man von der Gesellschaft ausgeschlossen, wenn man da nicht mitmacht? Sehen meine Freunde dann plötzlich alle gleich aus?» Sie wünsche sich, dass die Menschen wieder mehr zu sich selbst fänden, zurück zur Natürlichkeit. «Wenn es nämlich so etwas wie Perfektion gibt, dann ist das die Natur selbst.»

Klinik von Anfragen überrannt

Die Redaktion versuchte Pret-a-beaute am Montagmorgen mit der Kritik zu konfrontieren. Eine Mitarbeiterin teilte am Telefon mit, dass die Klinik zurzeit von Reaktionen überrannt werde, womit das Team nicht gerechnet habe. Aus diesem Grund könnten sie aktuell keine Stellung nehmen.

veröffentlicht: 12. Juni 2023 12:24
aktualisiert: 12. Juni 2023 15:26
Quelle: ZüriToday

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