Barrieren

Per Tastsinn Unterlagen ausfüllen? So ergeht es blinden Menschen bei der Abstimmung

22.05.2023, 11:14 Uhr
· Online seit 22.05.2023, 08:08 Uhr
Sehbehinderte Menschen können nicht ohne Unterstützung abstimmen. Massnahmen, welche die selbständige Ausübung der politischen Rechte gewährleisten, sind in Arbeit, stehen aber noch nicht zur Verfügung.
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Am 18. Juni ist es wieder so weit, die Schweiz stimmt ab. Für viele Schweizerinnen und Schweizer läuft das Abstimmen routinemässig ab. Informieren, Meinung bilden, Stimmzettel mit Ja oder Nein beschriften und ab auf die Post mit dem Couvert. Doch nicht für alle ist dieser Vorgang so simpel – so zum Beispiel für sehbehinderte Menschen.

Die Unterscheidung und korrekte Identifizierung der einzelnen Abstimmungsunterlagen, ist laut SZBLIND, dem Schweizerischen Zentralverein für das Blindenwesen, eine grosse Herausforderung für Menschen mit Sehbehinderung. Wo auf dem Stimmzettel soll die gewünschte Antwort auf die Abstimmungsfrage notiert werden? Wie bringt man die Unterschrift an die vorgesehene Stelle? Kathrin Schellenberg, Kommunikationsverantwortliche von SZBLIND, erklärt gegenüber der Today-Redaktion: «Für diese Handlungen benötigen Menschen mit Sehbehinderung die Unterstützung einer weiteren Person, welche Hilfestellungen leistet oder die Stimme im Namen des Stimmberechtigten abgibt.»

Der Bundesrat arbeitet an der Abstimmungsschablone

Bislang ist das autonome Abstimmen für Menschen mit einer Sehbehinderung unmöglich. Das Wahl- und Stimmgeheimnis kann somit nicht gewahrt werden. Diesbezüglich haben National- und Ständerat im vergangenen Jahr eine Motion angenommen. Diese beauftragt den Bundesrat damit, das Stimmgeheimnis von blinden und sehbehinderten Personen zu gewährleisten. Ein Lösungsansatz dafür sind Abstimmungsschablonen, welche der SZBLIND bereits entwickelt hat. «Diese ermöglichen es, Menschen mit Sehbehinderung, zu erfühlen, wo die gewünschte Stimme eingetragen werden muss – unabhängig davon, ob diese mit ‹Ja› oder ‹Nein› auszuschreiben oder das vorgedruckte ‹Ja› oder ‹Nein› anzukreuzen ist», sagt Schellenberg.

Der Bundesrat muss jetzt die Voraussetzungen für den Einsatz von Abstimmungsschablonen für nationale Abstimmungen schaffen und deren Finanzierung prüfen. Er werde sich 2023 mit offenen Fragen im Zusammenhang mit der Umsetzung der Motion befassen, erklärt Schellenberg. «Voraussichtlich werden der SZBLIND, weitere Interessenverbände und die Kantone zu gegebener Zeit zu einem entsprechenden Austausch eingeladen.»

Mit der gleichen Abstimmungsschablone könnte auch das Unterschreiben des Stimmrechtsausweises ermöglicht werden. Dafür braucht es laut Schellenberg lediglich ein taktiles Element auf dem Stimmrechtsausweis.

Wann kommt das E-Voting?

Am meisten Hoffnung steckt SZBLIND ins E-Voting. Mit barrierefreiem, digitalem Abstimmen könnten Menschen mit Sehbehinderung ihre politischen Rechte vollständig, autonom und selbstbestimmt ausüben. Am 18. Juni 2023 gibts einen Pilotversuch mit dem E-Voting-System der Schweizerischen Post in den Kantonen Basel-Stadt, St.Gallen und Thurgau. 2019 missglückte ein erster E-Voting-Versuch aufgrund von Sicherheitsbedenken.

Der SZBLIND und die nationalen Sehbehindertenorganisationen setzen sich für eine vollumfänglich barrierefreie und zeitnahe Umsetzung des E-Votings ein. «Bis die entsprechende politische Debatte zu Ende geführt und ein barrierefreies E-Voting-System eingeführt ist, steht mit den Abstimmungsschablonen eine punktuelle, pragmatische und wirksame Alternative zur Verfügung», so Schellenberg.

Abstimmungsvorlagen gibts als Hör-CD

Digitale Möglichkeiten vereinfachen auch den Prozess des Informierens für sehbehinderte Personen. Die Schweizerische Bibliothek für Blinde, Seh- und Lesebehinderte (SBS) bietet in der Deutschschweiz Erläuterungen zu den Abstimmungsunterlagen gratis als Hörzeitschrift an. Die Abstimmungsvorlagen werden von der SBS selbst vertont.

Um die Audiodateien zu beziehen, ist zum Teil ein Abo bei der SBS notwendig, bei gewissen Kantonen gibts die Vorlagen auch auf der Website. Die digitalen Unterlagen sind dabei meist zur gleichen Zeit wie das gedruckte Abstimmungsbüchli erhältlich. «Im Normalfall erhalten wir die Vorlagen genügend früh, sodass die Hörerinnen und Hörer die Aufsprachen ohne Verzögerung erhalten», schreibt die SBS auf Anfrage.

veröffentlicht: 22. Mai 2023 08:08
aktualisiert: 22. Mai 2023 11:14
Quelle: Today-Zentralredaktion

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