Kampf um Platz

Rüpelhafte Passagiere in Zürcher Trams frustrieren Bernerin an Krücken

20.11.2023, 10:55 Uhr
· Online seit 20.11.2023, 05:47 Uhr
Die 29-jährige Bernerin Jenny F. ist seit Kurzem auf Krücken angewiesen. In Zürcher Trams macht sie damit nur schlechte Erfahrungen. Es mache sie sehr traurig, dass sich viele Zürcherinnen und Zürcher derart asozial verhielten, sagt sie.
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Nach einer Hüftoperation musste sich die in Zürich wohnhafte Bernerin mehrere Wochen zu Hause schonen. Seit einigen Tagen ist Jenny F.* an Krücken unterwegs. Die Tramfahrten erlebt sie als einzigen Frust.

«Fast jedes Mal, wenn ich mit den Krücken ins Tram einstieg, sassen Passagiere ohne Einschränkungen auf den Plätzen für Personen mit beeinträchtigter Mobilität und machten keinen Wank», sagt die 29-Jährige zu ZüriToday. Dabei seien nicht einmal viele normale Plätze belegt gewesen.

Als rücksichtslos erlebte sie das Verhalten der Passagiere bereits bei ihrer ersten Fahrt mit Krücken. Als sie ins 11er-Tram eingestiegen sei, hätten zwei Paare auf den Behindertenplätzen gesessen, sagt F. «Sie schauten mich nur an und dachten nicht daran, aufzustehen», erzählt sie. Selbst als sie das eine Paar gefragt habe, ob sie sich hinsetzen könne, habe es nicht sofort geklappt. «Die junge Frau und der junge Mann diskutierten, wer mir nun zuerst Platz machen sollte.»

«Nutzte zwei Sitze für Einkaufstasche»

Kurze Zeit später erlebte die Bernerin im selben Tram den nächsten Frust. Eine etwas ältere Dame habe zwei Behindertenplätze beansprucht, sagt F. «Auf den anderen zwei Plätzen sass aber ein Herr um die 40, der für seine Einkaufstasche gleich zwei Sitze nutzte.» Als sie vor ihn hinstand und ihm mit Blicken zu verstehen gegeben habe, dass sie sich gerne auf einen Platz setzen würde, habe dieser nicht reagiert. «Platz machte dann die ältere Dame.»

Dazwischen musste F. auch mit normalen Sitzen vorliebnehmen, weil Passagiere auf den Behindertensitzen partout keinen Platz machten. «Eine junge Frau reagierte trotz Ansprechen nicht, sie schaute mich an, blickte wieder nach unten und tat so, als sie würde sie mich nicht verstehen, weil sie Musik hörte.» Andere hätten nur halbe Sitze freigegeben.

«Ein Mann bot mir an, mich neben ihn zu setzen, obwohl er sah, dass da nur noch ein halber Platz frei war. So viel Körperkontakt zu fremden Leuten ist dann doch etwas unangenehm.» Zudem sei der Mann beim Aussteigen ohne ersichtliche mobile Beeinträchtigung davongelaufen.

«Glaubte es selbst fast nicht»

Das rüpelhafte Verhalten gipfelte kürzlich darin, dass F. im Tram beinahe verletzt wurde. «Das konnte ich selbst fast nicht glauben», sagt F. «Eine Frau stellt sich neben mich, schaut mich an und dreht sich zur Seite. Dann lässt sie sich mit ihrem ganzen Gewicht auf den Sitz plumpsen – und knallt voll gegen meine operierte Hüfte!»

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F. betrüben die negativen Erfahrungen. «Dieser Kampf um einen Platz, der einem zusteht, raubt viel Energie und man verliert auch das Vertrauen in die Menschheit.» Besonders besorgt ist F. um Menschen, die dies ihr ganzes Leben erdulden müssen. «Man fühlt sich in der Gesellschaft nicht willkommen. Das sollte nicht so sein.» Es mache sie sehr traurig, dass sich viele Zürcherinnen und Zürcher derart asozial verhielten. «Es gehört doch zu jeder Erziehung, Personen mit eingeschränkter Mobilität Platz zu machen», sagt die angehende Lehrerin.

Mehr Rücksicht gefordert

Die Behindertenkonferenz Kanton Zürich (BKZ) bestätigt die Eindrücke der Bernerin. «Leider hören wir viele vergleichbare Geschichten von Menschen mit Behinderung», sagt Geschäftsleiterin Martina Schweizer. Es komme immer wieder vor, dass Menschen ohne Behinderung die Plätze besetzten, die für Menschen mit Behinderung reserviert seien und diese nicht oder nur unter Protest freigäben. «Sogar wenn die Person mit einer sichtbaren Behinderung lebt und somit nicht rechtfertigen müsste, weshalb sie diesen Platz beanspruchen darf.»

Martina Schweizer fordert Mitreisende auf, ihren Beitrag dazu zu leisten, dass Menschen mit Behinderung den ÖV besser nutzen können. «Dazu gehört, dass man Menschen mit Behinderung oder kranken Menschen beispielsweise den Platz überlässt.» Ob dieser Platz nun entsprechend markiert sei, sollte dabei keine Rolle spielen. Wenn möglich, könnte auch die Trampilotin oder der Trampilot darauf hinweisen, dass Platz freizugeben sei.

VBZ empfehlen, vorne einzusteigen

Die Zürcher Verkehrsbetriebe (VBZ) beurteilen das Verhalten der Passagiere positiv. «Das Aufstehen für mobilitätseingeschränkte Personen ist in unserer Wahrnehmung nach wie vor weit verbreitet und von den VBZ ausdrücklich erwünscht», sagt Mediensprecher Fabio Müller. Insbesondere erwünscht sei dies auf den Plätzen, die für diese Menschen reserviert seien.

Mobilitätseingeschränkten Fahrgästen empfehlen die VBZ, im Tram vorne einzusteigen. «So kann das Fahrpersonal die Tür offen halten und gegebenenfalls beim Einsteigen oder bei der Freigabe der Plätze behilflich sein.»

*Name der Redaktion bekannt.

veröffentlicht: 20. November 2023 05:47
aktualisiert: 20. November 2023 10:55
Quelle: ZüriToday

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