Superschnell und superbillig

Shein-Plakate tauchen in Zürich auf – das steckt hinter der Werbung

15.06.2023, 15:53 Uhr
· Online seit 14.06.2023, 11:35 Uhr
Immer nach dem neusten Trend, immer mit riesigem Angebot und immer extrem günstig: Die chinesische Fashion-Firma Shein mischt den Modemarkt auf, obwohl viele noch nie davon gehört haben. Was steckt hinter dem umstrittenen Unternehmen, das jetzt Plakate in Zürich aufhängt?
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Zara, H&M, Nike, Tommy Hilfiger – Werbeplakate von Modefirmen sind an fast jeder Ecke in Zürich zu finden. Jetzt ist in der Stadt ein neuer Name aufgetaucht. «Shein» (ausgesprochen Schi-in) heisst der Newcomer im Kleider-Business. Wobei: Ein Newcomer ist die Firma aus China nicht mehr. Trotzdem haben viele Schweizerinnen und Schweizer ihren Namen wohl noch nie gehört.

Shein wurde 2008 in Nanjing gegründet und wirbelt die Modewelt aktuell gehörig durcheinander. Die Firma macht heute laut Schätzungen bereits einen Umsatz von 30 Milliarden US-Dollar. Tendenz: stark steigend. 2021 waren es mit rund 15 Milliarden Dollar erst halb so viel. 2022 schätzte das Wirtschaftsmagazin «Bloomberg», dass Shein bald mehr wert sein könnte als H&M und Zara zusammen. Offizielle Zahlen gibt es allerdings nicht.

Milliardenumsatz mit Influencer-Werbung

Shein nutzt vor allem Social Media und das Internet, um an potenzielle Käuferinnen und Käufer zu gelangen. Klassische Läden unterhält das Unternehmen nicht. Dafür erhalten Influencer Gratis-Kostproben aus dem Katalog, die sie anschliessend ihren Followern vorstellen; zusammen mit einem Rabatt-Coupon.

Trotzdem experimentiert der chinesische Modegigant nun aber auch mit klassischen Formen der Werbung und hängt Plakate in Zürich auf, etwa in der Langstrassen-Unterführung. Dabei handelt es sich um eine internationale Kampagne, wie die Werbefirma APG auf Anfrage sagt. Auch ein Pop-up-Store sei in der Schweiz geplant, berichteten die CH-Media-Zeitungen Anfang dieses Jahres. In mehreren europäischen Städten gibt es solche Stores bereits. Bei der Eröffnung in Madrid gab es eine Schlange, die sich über mehrere hundert Meter erstreckte.

Extrem schnell und extrem billig

Aber wie schafft es Shein überhaupt, auf dem Markt für Kleider und Accessoires so einen Rummel zu veranstalten? Das Erfolgsrezept lautet: extrem schnell und extrem billig. Jeden Tag stellt der Konzern bis zu 9000 – richtig gelesen 9000 – neue Produkte lieferfertig in seinen Onlineshop. «Ultra-Fast-Fashion» nennt sich dieses Geschäftsmodell. Die Konkurrenz sieht dagegen alt aus.

Neben dem riesigen Angebot sollen tiefe Preise die Kundschaft anlocken. Kostet eine Jeans bei vergleichbaren Kleiderläden mindestens 25 Franken, geht es bei Shein schon bei 7 Franken los. Kleider gibt es ab 3.25 Franken, Pumps ab 7.75 Franken. Dazu kommen zahlreiche Aktionen, Gewinnspiele und Mengenrabatte.

Damit solche Preise überhaupt möglich sind, hat Shein im Heimatland ein enorm flexibles Produktionsnetzwerk aufgebaut. Die Firma bestellt bei ihren Zuliefer-Firmen zunächst eine winzige Menge eines neuen Produkts. Kommt der Style im Onlineshop gut an, wird sofort Nachschub geordert. Ist er ein Ladenhüter, sind die Verluste überschaubar. Laut «Spiegel» ist Shein wegen seiner Echtzeit-Analyse des Marktes weniger ein Mode- und mehr ein Technologiekonzern.

Es hagelt Kritik von allen Seiten

Das alles hat seinen Preis. Je grösser er wird, desto lauter wird die Kritik an dem Konzern. Modefirmen ärgern sich darüber, dass Shein ihre Designs ohne mit der Wimper zu zucken kopiert und massenhaft auf den Markt wirft. Das betrifft vor allem die grossen Namen wie Zara, aber auch kleinere Indie-Labels stellen fest, dass ihre Kreationen plötzlich ungewollt im Shein-Shop auftauchen. Die «Handelszeitung» schreibt von einem «Geschäftsmodell der Rücksichtslosigkeit», «Funk» (ARD & ZDF) nennt Shein die «Verkörperung des Schlimmsten, was die Globalisierung zu bieten hat».

Zweitens scheint die Diskussion um mehr Nachhaltigkeit in der Modewelt an Shein komplett vorbeigegangen zu sein. Greenpeace bemängelt nicht nur, dass die Kleider unter problematischen Umständen produziert würden, auch seien viele Inhaltsstoffe bedenklich. Aus einer Auswahl von Shein-Produkten enthielten 15 Prozent gefährliche Chemikalien, die gegen EU-Grenzwerte verstossen. In 32 Prozent steckten gefährliche Chemikalien in besorgniserregenden Mengen.

«Aus Profitinteresse gefährdet der Konzern so die Gesundheit der Verbraucher:innen – doch die Hauptlast für die Chemikalien-Abhängigkeit der Billigproduktion zahlen die Arbeiterinnen in den Produktions- und Zulieferbetrieben», schreibt die Umweltschutzorganisation auf ihrer Website. Gelangten die Stoffe über Abwasser und Luft in die Umwelt, verschmutzten sie zudem Flüsse und gefährdeten die Bevölkerung in den Produktionsländern im globalen Süden.

In den USA wurde schon ein Verbot gefordert

Die enorm günstigen Preise motivieren dazu, immer mehr Kleidungsstücke zu kaufen und schneller Dinge wegzuwerfen, sagen andere. Kommt hinzu, dass durch das Tempo der Produktion bei der Qualität Kompromisse unumgänglich seien. Die Stoffe müssten billig und die Nähte schnell gemacht sein. Anstatt dass man als Konsument oder Konsumentin ein T-Shirt flicke, werfe man es weg und kaufe ein neues.

In den USA ist sogar von einem Shein-Verbot die Rede. Eine Gruppe mit dem Namen «Shut Down Shein», die dem US-republikanischen Lager zuzuordnen ist, fordert gemäss «20 Minuten» von den Behörden ein Verbot des Onlineshops. Die Vorwürfe: Shein begehe Menschenrechtsverletzungen, nutze Importgesetze aus und spähe seine Kundinnen und Kunden aus. «Die grösste Gefahr für die nationale Sicherheit, von der du noch nie gehört hast», schreiben die Initianten auf ihrer Website.

Shein wächst unbeeindruckt weiter

Auf die Werbekampagne in Zürich hat es bereits Reaktionen gegeben. Auf dem Plakat in der Langstrassen-Unterführung klebt ein Poster von Renovate Switzerland, das die Klimapolitik der Schweiz anprangert. Die Aktion richtet sich allerdings nicht explizit gegen Shein, wie Mediensprecherin Cécile Bessire auf Anfrage sagt. Die Aktivistinnen und Aktivisten hätten vergangene Woche verschiedene Plakate überklebt, die ihrer Ansicht nach ein gestörtes Bild der Realität vermitteln.

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Dem Erfolg von Shein scheint diese Kritik bislang wenig anzuhaben. Vor allem bei Menschen unter 25 Jahren erfreut sich der Shop grosser Beliebtheit. Sie können dort Bewertungen für gekaufte Kleidungsstücke abgeben und Bilder von sich selbst in Shein-Klamotten posten. Für alles gibt es Punkte, die als Rabatt ausgegeben werden können. Diese Verführung zum nächsten Einkauf hat Shein den Übernahmen «Tiktok des E-Commerce» eingebracht.

Und was sagt das Unternehmen selbst zu den Vorwürfen? Gegenüber der Öffentlichkeit gibt sich Shein zugeknöpft, offiziell ist wenig über die Firma bekannt. Im Onlineshop liest man zwar, dass soziale Verantwortung, faire Arbeitsbedingungen, nachhaltige Produktion und die Achtung des Urheberrechts für das Unternehmen wichtig seien. «Wir sind im ‹gutes tun› Geschäft», heisst es. Wie dieses Ziel aber erreicht werden soll, bleibt unklar. Weder wird im Shop auf nachhaltige Produkte besonders hingewiesen, noch sind Beispiele für konkrete Massnahmen zu finden.

veröffentlicht: 14. Juni 2023 11:35
aktualisiert: 15. Juni 2023 15:53
Quelle: ZüriToday

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