Kulturprofessor ordnet ein

Warum Autoposer polarisieren und was Status damit zu tun hat

· Online seit 26.07.2023, 19:05 Uhr
Ein TeleZüri-Beitrag über Schweiz-Kosovaren, die ihre Schlitten in der Heimat zur Schau stellen, erregt die Gemüter. Einmal mehr stellt sich die Frage: Wieso bewegen uns diese Menschen so sehr? Ein Kulturwissenschaftler ordnet ein.

Quelle: TeleZüri / Orgetorix Kuhn / Daniel Fernandez

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In der Kosovo-Serie von TeleZüri porträtieren die Reporter die Sommerferien der Diaspora im Kosovo und zeigen dabei auch, wie Schweiz-Kosovaren ihre Autos lautstark in der Heimat präsentieren. Das Phänomen der «Autoposer» ist nicht neu, bewegt aber immer wieder aufs Neue. Wie ein Blick in die Kommentarspalte zeigt, regen sich viele über das Verhalten der jungen Männer auf. Andere nehmen sie in Schutz. Wieso triggern uns diese jungen Männer mit ihren schnellen und lauten Wagen? Moritz Ege, Professor für populäre Kulturen und empirische Kulturwissenschaft an der Universität Zürich, erklärt.

Herr Ege, woher kommt das Bedürfnis, sich zu profilieren?

Gesehen zu werden und Anerkennung zu erfahren, ist ein menschliches Bedürfnis. In unserem Medienzeitalter ist es vermutlich präsenter denn je. In diesem Fall handelt es sich um eine Subkultur junger Männer, die sich gerne präsentieren und die dieses Bedürfnis auf diese Weise ausleben.

Wieso Autos?

Das Phänomen, mit Autos zu posieren oder auch mit Autos anzugeben, ist alles andere als neu. Im Gegenteil: Es lässt sich beobachten, seit es Autos gibt. Autos sind etwas sehr Spektakuläres, die eine Kraft und Wucht haben, die vielen Leuten einfach extrem viel Spass macht. Sie sind auch ein klassisches Statussymbol, an dem sichtbar wird, wer sich was leisten kann oder will. Prinzipiell ist es aber nichts anderes, als wenn sich Menschen über ein besonders edles Velo oder eine besonders gediegen kuratierte Bücherwand im Zoom-Meeting präsentieren. Es ist immer eine Form der Selbstdarstellung, der Darstellung der eigenen Individualität und der Zugehörigkeit zu einer Gruppe.

Mit seinem Auto zu posen ist, anders als sein Bücherregal im Zoom-Meeting zur Schau zu stellen, eine laute und unausweichliche Art, seinen Reichtum zu präsentieren.

Klar, das ist schon ein wichtiges Detail … Sobald man mit dem Auto öffentliche Räume sucht und in der Innenstadt unterwegs ist, geht es ums Sehen und gesehen werden. Man nimmt Aufmerksamkeit in Anspruch und man nimmt in Kauf, dass man anderen Leuten auf die Nerven geht. Der Normbruch ist stärker, wenn es in Richtung Lärmbelästigung geht oder je nach Fahrweise auch gefährlich wird. Es ist eine Geste: «Schaut mich an, es ist mir egal, wenn ich euch nerve.»

In der Schweiz hält man sich gefühlt zurück, wenn es darum geht zu zeigen, was man hat. Ist das ein Grund, wieso sich so viele Menschen über Autoposer aufregen?

Den Ärger über laute Autos gibt es auch in anderen Ländern, das ist nicht exklusiv schweizerisch. Ich bin skeptisch gegenüber diesem Schweizer Selbstbild, dass Reichtum gar nicht gezeigt wird. Klar gibt es vieles, das darauf hindeutet. Wenn man sich aber an die Seestrasse an der Goldküste stellt und beobachtet, was da an Karossen reinrollt, ist das auch nicht alles nur von Zurückhaltung geprägt.

Wieso regen sich Menschen über Autoposer auf?

Sie bringen ganz unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen gegen sich auf, es ist fast schon amüsant. Die Klimaschützer sind sauer, weil es aus ihrer Perspektive aus der Zeit gefallen ist, sich mit PS und starken Motoren zu profilieren. Dann gibt es die Leute, die auf eine gewisse Konformität im Alltag achten und darauf schauen, dass niemand zu sehr über die Stränge schlägt oder aus der Reihe tanzt. Auch die sind dagegen. Dann ist es etwas, das als sehr maskulin oder machohaft herüberkommt und damit vielen Leuten unangenehm aufstösst. Den Kapitalismuskritikern ist es zu materialistisch.

Dazu kommt – auch das muss man ansprechen – eine gewisse Migrationsfeindlichkeit, die sich auch in vielen von den Kommentaren unter dem Video widerspiegelt.

Können Sie das ausführen?

Wenn Leute, die nicht zu einer statushohen Gruppe gehören, ihr eigenes Vergnügen zelebrieren und öffentliche Räume in Anspruch nehmen, gibt das oft einen gesellschaftlichen Backlash. Die Wahrnehmung ist, dass sie sich mehr rausnehmen, als ihnen zusteht. Ich glaube aber, dass das mehr über die Gesellschaft aussagt als über jene, die diesen Raum in Anspruch nehmen. Zudem ist es eine problematische Haltung. Denn wer legt fest, wem was zusteht?

Inwiefern zeigt sich das in den Reaktionen auf das Video?

Ich habe mir einige Dutzend von den Kommentaren durchgelesen und finde, dass sich ein Muster zeigt. Verbreitet ist der Punkt, dass die Fahrer sich so ein Auto aus der Sicht der Kommentatoren «eigentlich» gar nicht leisten können. Natürlich gibt es auch unterstützende oder liberale Meinungen. Kommentare wie «Von mir aus können sie dort-bleiben» oder «Wenn die Leute dort das sehen, kommen noch mehr von ihnen» haben für mich dann ganz klar migrationsfeindliche und rassistische Untertöne.

Schadet das Poser-Image den Kosovarinnen und Kosovaren in der Schweiz?

Das ist möglich. Für mich ist das aber nicht der Fehler von denjenigen, die Spass an ihren getunten Autos haben. Wir alle, die das wahrnehmen, sollten so oder so die Fähigkeit haben, nicht auf eine ganze Bevölkerungsgruppe zu schliessen.

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veröffentlicht: 26. Juli 2023 19:05
aktualisiert: 26. Juli 2023 19:05
Quelle: ZüriToday

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