Sport

Frauenfussball in der Schweiz: Ein Kampf gegen Rollenbilder und Vorurteile

10.07.2023, 08:21 Uhr
· Online seit 09.07.2023, 08:13 Uhr
Vor 100 Jahren hörte man erstmals von Schweizerinnen, die Fussball spielen. Bis zur Gründung des ersten Frauenfussballclubs, dem ersten internationalen Spiel und der Anerkennung des Frauenfussballs war es ein langer Weg. Ein Blick zurück auf die Anfänge.

Quelle: TVO, Sendung vom 18. Juli 2022

Anzeige

Am 20. Juli 2023 gehts los, am 21. Juli stehen die Schweizerinnen auf dem Rasen und spielen gegen die Philippinerinnen. Die Schweizer Frauen-Nati ist zum zweiten Mal an einer Endrunde der Fussball-WM dabei. Der Weg dahin war kein einfacher.

Auf den Spuren des Frauenfussballs

Zum ersten Mal wird im Jahr 1923 über Frauenfussball berichtet. Eine Genfer Sportzeitung schreibt über ein Frauenfussball-Team, die sich «Les sportives» nennt. Etwa zwei Dutzend Fussballerinnen sind dabei. Das Training findet im Garten der Villa der Initiantin statt.

1939 spielen Frauen beim Dorfturnier des FC Adliswil in Zürich mit. Das Duell der beiden Frauenteams nannte man die «Damen-Fussball-Demonstration». Im Fokus stand nicht etwa das Sportliche, sondern wie die Frauen «ihre weibliche Grazie in die Waagschale werfen», heisst es auf der vom FCZ-Museum lancierten Website seit1968.ch.

Dann wirds erst einmal still um die Fussballerinnen. Kriegs- und Nachkriegszeit, Fussballverbote für Frauen in Deutschland und England sowie tief verankerte Rollenbilder stehen der Entwicklung des Frauenfussballs in der Schweiz im Weg.

Der erste offizielle Frauenfussballclub

Wir schreiben das Jahr 1963. Frauen haben nach wie vor eine klare Rolle in der Gesellschaft. Sie gehören hinter den Herd, sorgen für Kinder und Haushalt und stärken ihren Männern den Rücken. Treiben Frauen Sport, ist das unästhetisch und könne die Gebärfähigkeit einschränken, sagen einige.

Fussball gehört also definitiv nicht zu den üblichen Frauenaktivitäten in dieser Zeit. Trotz viel Gegenwind gründen zwei Schwestern, Silvia und Monika Stahel, im Aargau den ersten Frauenfussballclub: FC Goitschel. Der Schweizerische Fussballverband (SFV) lässt die Frauen aber abblitzen, als sie um eine Teilnahme bei offiziellen Spielen 1965 bitten.

Wenn die Mädchen so an Fussball interessiert seien, könnten sie ja Schiedsrichterinnen werden. So berichtet der SFV. 14 Frauen nehmen an. Sonst spielen die FC-Goitschel-Frauen vor allem an Grümpelturnieren oder in der Freizeit.

Im Jahr 1966 schreibt ein Journalist fürs Magazin «Wir Brückenbauer» – laut «Watson»-Bericht –über die Stahel-Schwestern: «In ihren Trainingsanzügen und Fussballschuhen sehen sie aus wie Jünglinge, ihre kurzgeschorenen Köpfe, ihre eckigen Bewegungen, ihr harter Handschlag. Sie fühlen sich nicht wohl in Röcken, sie bevorzugen lange Hosen. Wenn nicht die Berufsarbeit bestimmend wäre, so würden sie wohl nie Röcke tragen.»

Als Mädchen bei den Buben spielte Madeleine Boll ab 1965 mit. Der SFV erteilte der fussballbegeisterten Zwölfjährigen wohl aus Versehen eine Lizenz. Womöglich weil man das Foto nicht genau betrachtete und Boll, die mit ihrem Schulfreund mit ins Training des FC Sion gegangen war, wegen ihres Kurzhaarschnitts für einen Jungen hielt.

Madeleine Boll war die erste lizenzierte Frau im Schweizer Fussball. Dass sie als Mädchen mitspielen durfte, schlug Wellen bis ins Ausland. Der Verband entzog ihr dann die Lizenz, weil nur männliche Spieler dazu berechtigt seien. Boll hatte kein Verständnis dafür und startete einige Jahre später in Italien durch.

Nicht an die grosse Glocke hängen

In Zürich gründet die 14-jährige Trudy Moser (heute Streit) mit ihrer vier Jahre älteren Schwester Ursula am 21. Februar 1968 den Damenfussballclub Zürich. Der damalige FCZ-Präsident Edi Nägeli stellt den jungen Frauen einen Platz zur Verfügung, wo sie spielen können. In der Zeitung finden die Schwestern «Damen unter 80, die sich anschliessen möchten», wie SRF im Podcast Zeitblende berichtet. Als die Zürcherinnen Gegnerinnen finden und sich zum Match treffen, besucht auch das Schweizer Fernsehen ein Spiel. Ernst nimmt der Reporter die Frauen aber nicht. «Fussball ist ein harter Sport. Wie verkraftet ihr das, ihr Mädchen?», fragt er die Spielerinnen.

Trudy Streit habe in der Schule nicht erzählt, dass sie Fussball spielt, sagt sie zu SRF. Es hätte abschätzige Sprüche gegeben. Einem Mann, der immer wieder ihre Spiele besuchte, sagte sie, es sei toll, dass er zuschauen komme. Dieser antwortete: «Ich komme nicht wegen dem Fussball, sondern wegen der Brüste, die so schön hüpften.» Trudy Streit war geschockt.

«Frauen können ihr Tenue selbst besticken»

Die 70er-Jahre standen im Zeichen der Frauenbewegung. Themen wie sexuelle Gewalt, Rassismus und sexuelle Belästigung wurden ins Blickfeld der öffentlichen Diskussionen gerückt. Ebenso der Kampf ums Frauenstimmrecht. Als Vorkämpferinnen sahen sich viele Fussballerinnen aber nicht. Sie wollten einfach nur Fussballspielen. Ihre Leidenschaft ausüben. Dafür haben sie viel in Kauf genommen.

Für das erste offizielle Länderspiel in der Schweiz im Jahr 1972 hat der Verband Shirts ohne Nummern und Schweizerkreuz geschickt. Die Kreuze wurden dann nachgeliefert. Historikerin Marianne Meier erzählt in einem SRF-Interview davon. Sie hat die Geschichte des Frauenfussballs in der Schweiz aufgearbeitet. «Es hiess damals, sie seien ja Frauen, sie könnten die Kreuze selber aufnähen.»

Der «Lesben-Skandal» 1994

Die Fussballerinnen bekommen 1970 mit der ersten Schweizerischen Damenfussball-Liga (SDFL) ihre eigene Liga. 18 Teams, verteilt auf drei Regionen. Die ersten Schweizermeisterinnen werden die Damen des FC Aarau. 1975/1976 fügt die SDFL dem nationalen Spielbetrieb einen Cup-Wettbewerb hinzu. Erster Cupsieger wird der DFC Sion.

Doch Frauenfussball wird weiterhin belächelt, beleidigt und von Skandalen begleitet. Für Aufruhr sorgte 1994 der «Lesben-Skandal» beim FC Wettswil-Bonstetten. Der Verein löste damals sein Damen-Team auf, weil angeblich zu viele Lesben dabei waren. Für die Spielerinnen kam der Entscheid aus heiterem Himmel. Der Verein begründete den Ausschluss so: «Der Verein wird ausgenützt für das Ausleben von abnormalen Veranlagungen (lesbisch).» Der Zürcher Fussballverband hob den diskriminierenden Entscheid wieder auf. Die Spielerinnen wollten aber nicht mehr beim FC Wettswil-Bonstetten spielen.

Der Kampf gegen Vorurteile und der Kampf um Aufmerksamkeit begleitet Fussballerinnen bis heute. Seit 1992 ist der Frauenfussball in den Schweizerischen Fussballverband integriert. Doch der Weg geht nach wie vor weiter.

veröffentlicht: 9. Juli 2023 08:13
aktualisiert: 10. Juli 2023 08:21
Quelle: Today-Zentralredaktion

Anzeige
Anzeige
baerntoday@chmedia.ch