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Hört auf mit dem Stress: Ein Plädoyer für Entschleunigung

Keine Zeit für nichts?

Hört auf mit dem Stress: Ein Plädoyer für Entschleunigung

· Online seit 30.03.2024, 08:00 Uhr
Wir leben in einer schnelllebigen Gesellschaft – so viel ist klar. Auch die Werbung suggeriert, dass wir Schweizerinnen und Schweizer immer weniger Zeit haben und alles immer schneller gehen soll. Das muss nicht sein, findet Today-Redaktor David Kocher.
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Du hast keine Zeit. Ich habe keine Zeit. Niemand hat mehr Zeit. Das könnte man zumindest glauben, wenn man gewisse Werbekampagnen zu ernst nimmt. Bereits 2018 stiess mir eine Kampagne der SBB sauer auf. «Sie wollen das Billett nicht mit der App kaufen? So viel Zeit hätte ich auch gerne», prangerte es auf Plakaten. Und im Bild ausgerechnet eine Seniorin – wohl die Bevölkerungsgruppe, die wohl mehr Zeit als alle anderen hat. Auch der bekannte Slogan der Valiant Bank ist mir ein Dorn im Auge: «In einen vollen Tag passt keine komplizierte Bank.»

Klar, per App sind viele Dinge schneller erledigt als am Automaten oder am Schalter. Aber ich will mir doch nicht von irgendwelchen Grosskonzernen sagen lassen, wie viel Zeit ich habe und wie gestresst ich bin. Den Stress, den wir uns machen, scheint mir oftmals selbst auferlegt. Wozu sparen wir die einige Sekunden oder Minuten? Um länger zu arbeiten? Länger am Handy herumzudrücken? Eine weitere Netflix-Folge zu schauen? Hopp!

Sechs Jahre später haben wir immer noch keine Zeit. Oder – wie es scheint – sogar noch weniger Zeit. Eine neue Werbekampagne für die Trink-Mahlzeit yfood will mir dies zumindest weismachen. «Keine Zeit zum Essen? Für im Büro oder unterwegs» wirbt der Lebensmittelhersteller. So so.. Zuerst keine Zeit für Ticketkäufe am Schalter und Administratives und jetzt muss auch noch die Essenszeit daran glauben.

Da bin ich gespannt, wie es weitergeht. Will mir die Werbung in weiteren sechs Jahren etwa suggerieren, dass ich keine Zeit für Schlaf mehr habe und mir dafür einen mit Koffein- und Zucker vollgepumpten Drink verkaufen? Und, da man dann sicher auch keine Zeit hat, um selbst einkaufen zu gehen, kann man sich den Drink direkt per Drohne an den Arbeitsort liefern lassen. Prost!

Einen Trend zur Beschleunigung hatte auch die Berner Schnitzelbank-Gruppe «D Tüpflischysser» festgestellt und nahmen dies bei der Bärner Fasnacht 2023 auf die Schippe: «I üser schnälle Zyt, da fingt me chum me Rueh. Jetzt simer scho so wiit, s normale Tempo isch nümm gnue. Hüt lost me uf sim Handy mit Doppelgschwindigkeit […] Bir Musig und bi Filme, au da heissts ‹Iz mal hüü›, und scho wird gspeeded, will me het ja Tempo Faktor 3. […] So si durchus paar Minute zgwinne, me faht derfür au ganz schnäll afah spinne.»

Die «Tüpflischysser» sind nicht die einzigen, die die immer übertriebener werdende Schnelllebigkeit kritisieren. Es gibt noch weitere Gegenbewegungen. Seit über 30 Jahren publiziert der Brite Tom Hodgkinson etwa das Magazin «The Idler», das sich ganz dem Faulenzen und der persönlichen Freiheit verschrieben hat. Kürzlich wetterte er in einem Artikel gegen Energydrinks: «Müde Arbeiter brauchen keinen ‹Energie-Boost›», so Hodgkinson. «Sie brauchen ein Nickerchen.» Amen!

veröffentlicht: 30. März 2024 08:00
aktualisiert: 30. März 2024 08:00
Quelle: BärnToday

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