ETH-Seismologin erklärt

Ab wann ein Erdbeben gefährlich wird und wie du dich am besten schützt

07.02.2023, 15:46 Uhr
· Online seit 07.02.2023, 15:41 Uhr
Tausende Häuser in der Türkei liegen in Trümmern, Menschen trauern um ihre Verwandten und Rettungskräfte fliegen ins Land. Die Katastrophe in der Türkei und über die Grenze in Syrien ist gross. Was die Erdbebenstärke in der Türkei bedeutet und ab wann Beben spürbar und gefährlich sind, erklärt Anne Obermann, Seismologin beim Schweizerischen Erdbebendienst der ETH Zürich.

Quelle: CH Media Video Unit / Schweres Erdbeben in der Türkei und Syrien / 6.2.23

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Die Bilder aus der Türkei und Syrien erschüttern. Das starke Erdbeben am Montagmorgen und die über 200 Nachbeben seitdem haben Häuser im betroffenen Gebiet zerstört und über 5000 Leben beendet. Tausende Personen wurden verletzt. Die Erdbebenkatastrophe ist gross – eine der schlimmsten überhaupt. Anne Obermann, Seismologin beim Schweizerischen Erdbebendienst der ETH Zürich, ordnet die Katastrophe ein.

Frau Obermann, in der Türkei wurden Erdbeben bis zur Stärke von 7,8 gemessen. Was bedeutet diese Zahl?
Unter einem Beben von 7,8 muss man sich vorstellen, dass es in diesem Fall eine Verwerfung von 180 bis 200 Kilometern Länge gibt. Diese geht etwa 20 Meter in die Tiefe und die Erde bewegt sich wirklich 30 bis 40 Sekunden entlang dieser Verwerfungszone.

Ab welcher Stärke ist ein Erdbeben für Menschen und Tiere spürbar?
Das hängt davon ab, auf welchem Untergrund man sich befindet und wie weit entfernt man vom Beben ist. Im Allgemeinen wird bereits Magnitude 2,5 in der Nähe des Epizentrums verspürt, vor allem, wenn es oberflächennah ist, die direkte Umgebung besiedelt ist und die Leute nicht schlafen. Wenn man direkt über dem Erdbeben ist, kann man auch kleinere Beben spüren.

Ab welcher Stärke wird es gefährlich?
Das hängt davon ab, wie gut die Bauweise der Gebäude ist. Erste Risse im Mauerwerk können ab einer Magnitude von 4,5 beobachtet werden, in seltenen Fällen treten solche bereits bei kleineren Magnituden in der direkten Umgebung auf. Wir sprechen ab Magnitude 5 im Allgemeinen von einem Schadensbeben. Ab Magnitude 6 spricht man von einem folgenschweren Beben, was auch in häufigen Fällen Todesopfer nach sich zieht. Magnitude 7 fällt in die Kategorie eines katastrophalen Bebens. In diese Kategorie fällt das Beben in der Türkei.

Was muss man machen, wenn man sich während eines starken Erdbebens im Gebiet befindet?
Gebäude meiden und auf eine freie Fläche gehen. Durch die starken Erdbeben und die vielen Nachbeben haben die Gebäude Schaden genommen, wenn sie nicht schon zusammengebrochen sind. Man soll auf keinen Fall in ein beschädigtes Gebäude zurück gehen, solange dieses nicht von einem Experten überprüft wurde. Ist man während des Erdbebens in einem Gebäude, soll man sich vor den herunterfallenden Sachen schützen. Zum Beispiel, indem man sich unter einen Türrahmen stellt oder unter einen Tisch legt – möglichst von allem weg, was auf einen runterfallen kann. Wenn alle Stockwerke zusammenbrechen, wie in der Türkei, dann ist das teilweise schwierig. Wer sich direkt bei einem Ausgang befindet, kann das Gebäude verlassen.

Warum kommt es zu diesen Nachbeben?
So ein grosses Beben setzt sehr viel Energie frei und verschiebt die Spannungen in der Erdkruste. Bis sich das Ganze wieder ausgeglichen hat, kann es auch in anderen Bereichen dieser Verwerfungszonen zu Spannungsverschiebungen und Spannungsentladungen kommen. Das sind dann diese Nachbeben. Es ist zudem nicht auszuschliessen, dass es nochmals zu einem grösseren Beben kommt, dies aber mit einer kleinen Wahrscheinlichkeit.

Was kann man als Schutz gegen Erdbeben tun?
Es ist nicht das Erdbeben selber, dass die Menschen in der Türkei getötet hat. Es ist die Infrastruktur, es sind die Häuser, die zusammenbrechen. Das Beste, was man machen kann, ist erdbebensicher bauen.

Wie gut können Erdbeben vorhergesagt werden? Wird man überrascht?
Eine Vorhersage funktioniert nur in dem Sinne, dass man weiss, dass manche Regionen tektonisch gespannt sein können und es dort eher zu grossen Erdbeben kommt. Man kann aber keine Vorhersage in dem Sinne machen, dass wir wissen, nächste Woche gibt es ein grosses Beben in der Region. Diese Region in der Türkei hat historisch grosse Beben gesehen. In den letzten 100 Jahren ist dort aber nicht viel passiert. Es war absehbar, dass irgendwann wieder ein grosses Beben kommt, aber nicht wann.

veröffentlicht: 7. Februar 2023 15:41
aktualisiert: 7. Februar 2023 15:46
Quelle: ZüriToday

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