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30 Jahre Frauenhaus Biel: «Müssen zeigen, dass die Zahlen nicht zurückgehen»

«Solidarité Femmes»

30 Jahre Frauenhaus Biel: «Müssen zeigen, dass die Zahlen nicht zurückgehen»

· Online seit 23.11.2023, 11:47 Uhr
Dieses Jahr wird die Beratungsstelle und das Frauenhaus in Biel 30 Jahre alt – dennoch laufen die Tätigkeiten der Organisation unter dem Radar. Welchen Schutz das Frauenhaus bietet, erfährst du hier.
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«Bei der Gründung des Frauenhauses musste man die Sensibilisierung zu diesem Thema komplett von Null aufbauen. Heute müssen wir mehr aufzeigen, dass die Zahlen leider nicht zurückgehen, sondern steigen», sagt Isabel Staub. Sie ist seit 2019 als Fachberaterin Opferhilfe bei «Solidarité Femmes» tätig und begleitet Frauen und Kinder, welche Unterstützung benötigen.

«Solidarité Femmes» betreibt in Biel eines von 24 Frauenhäusern in der Schweiz, das für Frauen und Kinder als Zufluchtsort dient, wenn diese von körperlicher, psychischer und sexualisierter Gewalt innerhalb der Familie betroffen sind. Die Mitarbeitenden beraten und unterstützen die Frauen vor Ort und telefonisch und bieten bei akuten Fällen geschützten Wohn- und Lebensraum an. Diese Räume sind aber geheim und deren Adresse wird nicht publik gemacht.

Die Zahl steigt

«Grundsätzlich sehen wir einen Anstieg», sagt Staub. 2021 beriet die Beratungsstelle von «Solidarité Femmes» in Biel rund 800 Frauen und Kinder, davon hatten 346 Frauen erstmals das Frauenhaus kontaktiert. Ein Jahr später, in 2022, waren es total 897 «Situationen», wie die Fälle intern definiert werden. Davon waren 527 neu. Ein erheblicher Anstieg im Vergleich zum Vorjahr. Das habe man im ganzen Kanton Bern gemerkt, sagt Staub. Ein Grund könnte laut «Solidarité Femmes» die Corona-Pandemie sein. «Viele Frauen haben sich noch nicht ganz getraut, Hilfe zu suchen. Das sind noch Nachwehen der Pandemie», sagt Staub.

Geheimer Standort

Die enge Zusammenarbeit zwischen der Beratungsstelle und des Frauenhauses seien eine Besonderheit des Bieler Standorts, betont Staub. Wenn es Fälle gibt, bei denen die Frauen in der Stadt oder in ihrem Umkreis nicht sicher sind, kann «Solidarité Femmes» einen Platz in ihren geheimen Wohnungen anbieten. «Zum Teil leben Sie ein paar Tage dort. Einige auch während Monaten», so Staub. Eine Herausforderung sei, dass die Bewohnerinnen diese Adresse nicht an Bezugspersonen weitergeben können und sie auch nicht zurückverfolgt werden kann. Von aussen könne man nicht feststellen, wo diese Wohnungen sind.

Momentan seien die Wohnungen voll, erklärt Staub. Sechs Frauen und sechs Kinder haben in der Unterkunft Platz. «Es ist auch ein Abbild der letzten Zeit, dass es voll ist. Wenn eine Frau die Wohnung verlassen kann, wird der freie Platz schnell wieder besetzt», sagt Isabel Staub. 2022 waren es insgesamt 44 Frauen und 37 Kinder, welche Platz in den Unterkünften fanden. Sind alle Plätze belegt, muss auf ein Hotel oder auf andere Frauenhäuser zurückgegriffen werden.

Aus einer Diplomarbeit gegründet

Das Frauenhaus in Biel wurde von einer Frauengruppe gegründet, bei der ein Mitglied davon zu diesem Zeitpunkt für Ihr Studium in der sozialen Arbeit eine Diplomarbeit verfassen musste. Zusammen setzten sie sich mit dem Thema Häusliche Gewalt gegenüber Frauen auseinander. Nach Fertigstellung der Diplomarbeit wurde innerhalb der Politik auf eigene Faust auf das Thema aufmerksam gemacht und mit der Zeit entstand das Frauenhaus in Biel. «Eine sehr eindrückliche Geschichte. Ich war erstaunt, dass die Politik dem zu Beginn noch wenig Gewicht gegeben hat. Aber als man dann die Zahlen gesehen hat, wurde es allen klar», so Staub.

Zu Beginn sei es ein regelrechter Kraftakt gewesen, die Ressourcen zusammenzubringen. Finanziell und auch im Zusammenhang mit dem Personal: Anfangs wurde viel ehrenamtlich gearbeitet, wie Staub erzählt. Die finanzielle Herausforderung sei aber bis heute geblieben: Zwar gebe es Gelder durch den Leistungsauftrag des Kantons Bern, aber für andere Projekte ausserhalb des geregelten Auftrages benötige es nach wie vor externe Spenden und Unterstützungen.

Digitalisierung bietet neue Gefahren

Seit der Gründung des Frauenhauses entwickelten sich die Technologien und deren Möglichkeiten enorm schnell weiter. Im Internet seien Frauen oft Hass und Abwertungen ausgesetzt. Eine Überwachung und Kontrolle der Frauen werde zudem immer einfacher. Durch Spy-Apps funktioniere die Standortverfolgung noch unbemerkter. Das sei auch in ihrer Arbeit zu spüren, sagt Staub.

Diesbezüglich sei das fehlende Fachpersonal ein Problem. «Wir bräuchten hier noch zusätzliche Unterstützung bei den Fragen, wo Sicherheitslecks sind und worauf wir bei Smartphones und Laptops achten müssen.» Es gebe Massnahmen, worauf die Betreuerinnen im Umgang mit Mobilgeräten achten müssten, aber diese seien aufs Notwendigste reduziert. «Es gibt viele Herausforderungen durch die Technologien, welche uns ab und zu Bauchschmerzen verursachen», sagt Staub.

«Es ist der Wunsch von uns allen, dass es das Frauenhaus gar nicht brauchen würde», so Staub. In der Gesellschaft fehle der Mut, um über solche Themen zu sprechen und auch hinzuschauen. Mit der richtigen Prävention könne man vieles verhindern. «Wenn in der Wohnung nebenan Schreie oder ‹unschöne› Geräusche zu hören sind, und man nicht weiss, wie darauf zu reagieren ist, kann man sich bei uns melden», sagt Isabel Staub.

veröffentlicht: 23. November 2023 11:47
aktualisiert: 23. November 2023 11:47
Quelle: BärnToday

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