Experte ordnet ein

So gut steht es tatsächlich um die Finanzen von Berner Gemeinden

· Online seit 16.01.2023, 06:56 Uhr
Zunächst Corona, dann die Ukraine-Krise und nun die Teuerung: Die Krisen überlappen sich in letzter Zeit zunehmend. Dennoch melden die meisten Berner Gemeinden positive Finanzen. Wir ordnen ein.
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Wie steht es um die Finanzen der Berner Gemeinden?

Insgesamt erwirtschafteten sie im Jahr 2021 einen Ertragsüberschuss von 133 Franken pro Einwohnerin und Einwohner, wie die kantonale Direktion für Inneres und Justiz am Donnerstag mitteilte. Das ist zwar 20 Franken pro Einwohnerin und Einwohner weniger als noch im Vorjahr, die Berner Gemeinden stehen damit aber finanziell noch immer recht gut da – auch in Anbetracht der sich überlappenden Krisen von der Pandemie über den Ukraine-Krieg bis hin zur Teuerung.

Wie steht es um Dauerbrenner Köniz?

Neben Moutier ist 2021 Köniz die einzige Gemeinde mit einem Bilanzfehlbetrag. Das heisst, dass Aufwände nicht mehr nur durch das Eigenkapital gedeckt werden können. Wäre eine Gemeinde ein Unternehmen, wäre sie mit einem Bilanzfehlbetrag im Konkurs.

Köniz hat inzwischen aber reagiert. Nach langem Hin und Her nahm die Könizer Stimmbevölkerung im Juni 2022 das Budget fürs laufende Jahr überraschend deutlich an. Damit verbunden ist eine Erhöhung des Steuerfusses auf 1.58 Steuerzehntel und letztendlich ein Kompromiss, nachdem grössere Steuererhöhungen zuvor an der Urne gescheitert waren.

Adrian Ritz, Professor für Public Management an der Universität Bern, erklärt: «Ein Budget ist ein politisches Instrument, um einen Kompromiss zwischen verschiedenen Parteien mit unterschiedlichen Interessen zu finden.» Wenn man keinen Kompromiss findet, müsse man weiterverhandeln. «Das Beispiel Köniz zeigt, dass sich die Budgetrunden gelohnt haben, um auf die nächsten Jahre hin wieder einen ausgeglichenen Haushalt zu schaffen», so Ritz.

Für 2023 erwartet die Gemeinde mit rund 42'800 Einwohnerinnen und Einwohnern ein positives Ergebnis.

Leben die Berner Städte auf zu grossem Fuss?

Diese Bewertung hängt auch von der eigenen politischen Einstellung ab und kann dementsprechend nicht objektiv beantwortet werden. Bei der Betrachtung der Finanzen sticht insbesondere die Stadt Bern hervor. Seit 2019 sind die Budgets aufgrund hoher Investitionskosten und ausbleibenden Steuereinnahmen defizitär. Für das Jahr 2023 budgetiert die Stadt ein Defizit von 35,1 Millionen Franken. Auch in Biel oder Thun muss man immer wieder um ausgeglichene Budgets ringen.

Ritz sagt: «Die Städte sind als Zentren im Kanton gefordert und die Investitionen müssen laufend überprüft werden.» Die Steuerungsmechanismen, die verhindern sollen, dass die Städte mit ihren Ausgaben überborden, seien aber intakt, so Ritz.

Wie wirken sich die steigenden Zinsen auf die Finanzen aus?

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) beendete im vergangenen Jahr die Ära der Negativzinsen und hob den Leitzins mehrmals an. Das hat auch Auswirkungen auf die Finanzen. «Je höher die Schulden einer Gemeinde sind, umso mehr erhöht sich der Anteil der Schuldzinsen in der laufenden Rechnung», so Verwaltungswissenschaftler Ritz. Er hält die aktuelle Entwicklung insgesamt bei den Berner Gemeinden allerdings nicht für bedrohlich. «Wir müssen beobachten, wie sich die Zinssituation längerfristig entwickelt.»

Für einzelne Gemeinden mit hoher Verschuldung, wie zum Beispiel die Stadt Bern, könnte ein starker Zinsanstieg aber grosse Herausforderungen mit sich bringen, so Ritz.

Dass die Zinsen ansteigen, ist in den Budgets für 2023 allerdings noch nicht berücksichtigt. Im Falle der Stadt Bern könnten die Zinsaufwände fast 4 Millionen Franken höher ausfallen, so dass das Defizit von 35,1 Millionen auf bis zu 39 Millionen Franken ansteigen würde.

Unter anderem die Stadt Biel hat derzeit kein genehmigtes Budget. Was bedeutet das?

«Wenn eine Gemeinde kein Budget hat, kann sie nur dringend erforderliche Ausgaben tätigen», erklärt Ritz. Das öffentliche Leben müsse aber weiterhin gewährleistet und Löhne des Verwaltungspersonals ausgezahlt werden. Nicht zwingende Ausgaben müssen hingegen verschoben werden, bis ein Budget steht. Auch sei es laut Ritz möglich, dass zum Beispiel Schullager gestrichen oder die Öffnungszeiten von Bibliotheken verkürzt werden, sagt er.

In der Gemeinde Herzogenbuchsee müssten aktuell Kinder auch auf Schulausflüge und Lager verzichten, weil dort – wie ihn Biel – das Volk das Budget abgelehnt hat.

Wann kommt es zu einer Zwangsverwaltung?

Im Gerangel um Köniz ging das Schreckgespenst einer Zwangsverwaltung um. Auch anderswo ist das Wort immer wieder Teil des politischen Diskurses, wenn die Finanzen nicht gerade rosig aussehen. Doch was hat es damit überhaupt auf sich?

«Eine Zwangsverwaltung durch den Kanton kommt sehr selten vor», sagt Ritz. Grundsätzlich gelte: «Wenn eine Gemeinde bis Mitte Jahr kein Budget hat oder kein Eigenkapital zur Deckung von Defiziten mehr vorhanden ist, greift der Kanton ein und legt ein ausgeglichenes Budget fest.» Dafür müssen die Gemeindesteuern erhöht werden. «Das ist die einfachere Massnahme als Sparpakete umzusetzen.»

Dass eine Gemeinde eine Zwangsverwaltung fürchtet, hat gute Gründe. «Man will nicht von der übergeordneten Ebene an die Leine genommen werden und bemüht sich entsprechend um ein ausgeglichenes Budget», erklärt Ritz.

veröffentlicht: 16. Januar 2023 06:56
aktualisiert: 16. Januar 2023 06:56
Quelle: BärnToday

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