Regionalgericht Burgdorf

Staatsanwalt fordert rund vier Jahre Freiheitsstrafe für Missbrauch an Stieftöchtern

· Online seit 05.09.2023, 18:17 Uhr
Der Fall einer Person, die jahrelang seine Stieftöchter missbraucht haben soll, ging heute vor dem Regionalgericht Emmental-Oberaargau in Burgdorf in die zweite Runde. Nachdem der Prozess am Montag abgebrochen werden musste, konnte der Angeklagte nun befragt werden.
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Der Beschuldigte, der seit ein paar Jahren frauentypische Kleidung trägt, wurde vom Gericht als Herr angesprochen, weil er noch nicht als Frau registriert ist, berichtet 20 Minuten.  Am Montag wurde der Prozess abgebrochen, weil der Angeklagte Brechreiz verspürte. Am Dienstag konnte er trotz seiner Kopfschmerzen befragt werden.

Angeklagter sieht Fesselungen als Kunst

Der Beschuldigte lebt unter anderem von der IV-Rente, leidet unter starken Schmerzen und ist in seinem Alltag auf Betreuung angewiesen. Er hat heute weder mit den Mädchen noch mit deren Mutter Kontakt. Die Vorwürfe streitet er (bis auf einen) alle ab. So sollen sich die meisten Vorfälle mit den Mädchen aus dem Alltag heraus ergeben haben.

Was die Fesselungen angeht, so sollen die Mädchen von sich aus den Wunsch gehegt haben, diese auszuprobieren. Darauf gekommen seien sie, weil sie in der Wohnung Heftli zur Bondage-Kunst gesehen hätten, die ihr Interesse und ihre Neugier geweckt hätten. Von einem sexuellen Kontext sei nicht die Rede, da alle Beteiligten immer bekleidet gewesen sind.

«Haben nur geblödelt»

Die Berührungen an intimen Stellen seien zufällig entstanden, sie hätten sich durch das Umbinden der Seile ergeben. Auch sonst habe er die Mädchen nie absichtlich berührt. Den Anklagepunkt, er sei zur älteren Stieftochter ins Bett gestiegen, wird vom Angeklagten heruntergespielt, er hätte lediglich mit ihr «geblödelt.»

Dass die Mädchen oder die Mutter Angst vor ihm gehabt hätten, kann er nicht verstehen. Wütend sei er im normalen Rahmen geworden, etwa wenn die Mädchen ihre Ämtli nicht erledigt hatten. Er sieht sich selbst als Person mit gewissen Führungsfähigkeiten und nimmt als Vergleich einen Kapitän, der sein Schiff navigieren muss.

Dildo geschenkt

Dass er der damals 13-jährigen Stieftochter einen Dildo geschenkt hatte, streitet der Beschuldigte nicht ab. Seine Begründung: Der Dildo sollte dabei helfen, dass das Mädchen nicht so oft an ihren Fingernägeln kaue und dass man den Dildo auch für andere entspannende Massagen brauchen könnte.

Staatsanwalt fordert gut 4 Jahre Freiheitsstrafe

Der Staatsanwalt stellt laut 20 Minuten in seinem Plädoyer fest, dass die Privatklägerinnen das schwierige Zusammenleben mit dem Angeklagten glaubhaft geschildert hätten und dass sie dabei sachlich, teils sogar zurückhaltend geblieben sind. Der Beschuldigte hätte von seiner Machtposition den damals noch sehr jungen Mädchen gegenüber profitiert, denn diese hätten sich, trotz ihres offensichtlich gezeigten Widerwillens, nicht zur Wehr setzen können gegen die sexuellen Handlungen.

Die Rolle der Mutter

Auch die Mutter habe glaubhaft klar gemacht, was sie erlebt hatte. So sieht der Staatsanwalt sie eher als ein weiteres Opfer und nicht als Täterin. Jedoch wäre es ihre Pflicht gewesen, zu verhindern, dass ihr Partner sexuelle Handlungen mit ihren Töchtern vornimmt. Dafür sei sie schuldig zu erklären. Jedoch fordert der Staatsanwalt keine Sanktionen gegen sie. Für die Taten des Beschuldigten jedoch, die er als mittelschweres Verschulden beurteilt, fordert er eine rund vierjährige Freiheitsstrafe.

Was will die Rechtsanwältin der Mädchen?

Die Rechtsanwältin der beiden Privatklägerinnen fordert Schadenersatz und eine Genugtuung von je 20'000 Franken. Sie machte auch deutlich, dass die beiden jungen Frauen kein Interesse an einer Verurteilung ihrer Mutter hätten. Beide Schwestern würden heute in psychotherapeutischer Therapie behandelt, als Folge der jahrelangen sexuellen Misshandlungen.

Verteidigung fordert Freispruch in allen Punkten

Der Anwalt des Beschuldigten äusserte sich zu den Fesselungen, die, wie er meint, auch aus ästhetischen, künstlerischen und sportlichen Gründen getätigt werden. Die Fesselungen hätten nicht zu einem sexuellen Kontakt geführt. Sein Mandant wurde beschuldigt, der älteren Tochter mehrmals den BH am Esstisch geöffnet zu haben. Für den Verteidiger sei dies eher in einem «lustigen» Kontext geschehen, wie auch die vielen unsittlichen Berührungen, die sich aus «Blödeleien» heraus ergeben hätten.

Die Aussagen der beiden Mädchen sind für ihn nicht einheitlich, so würden sie etwa nicht von der selben Anzahl an Bondage-Sessions reden. Mit diesen Begründungen fordert der Verteidiger des Angeklagten den Freispruch von den Vorwürfen der sexuellen Handlung mit Kindern und der sexuellen Nötigung.

Freispruch auch für Mutter gefordert

Diese sei nicht im Bilde gewesen über die sexuellen Übergriffe ihres Ex-Partners auf ihre Kinder, so die Verteidigung. Sie habe erst nach dem Auszug ihrer jüngeren Tochter davon erfahren. Gewusst habe sie von einem einzigen Mal, als sie selber dabei war. Ihr Ex-Partner, dem sie unterlegen gewesen sei, habe ihr das als gute Sache verkauft. Die beiden Schwestern sowie deren Mutter wären mit Erniedrigungen und Bestrafung durch Liebesentzug manipuliert worden und hätte unter der Dominanz des Beschuldigten gelitten.

Der Mutter aber tut alles sehr leid, der Beschuldigte verzichtet auf ein Schlusswort. Das Regionalgericht Emmental-Oberaargau in Burgdorf wird das Urteil voraussichtlich am Donnerstag verkünden.

(hed)

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veröffentlicht: 5. September 2023 18:17
aktualisiert: 5. September 2023 18:17
Quelle: 32Today

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