Comic-Künstler

Er brachte die Apokalypse nach Bern – und wurde dafür ausgezeichnet

· Online seit 26.08.2023, 17:06 Uhr
2018 veröffentlichte Jared Muralt den ersten Band einer Comicreihe, in welcher in Bern ein verheerendes Grippevirus wütet. Als die Corona-Pandemie ausbrach, berichteten sogar internationale Medien über den Comic. Wir haben den 41-Jährigen besucht und nachgefragt, wie er nach dem Medientrubel lebt und was für einen Einfluss die Pandemie auf seinen Comic hatte.
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Am Nydeggstalden, in einem Studio mit weiteren Künstlerinnen und Künstlern, arbeitet ein Mann, der vor drei Jahren die Welt bewegte. Zahlreiche Medien, darunter TeleBärn, Der Bund, Blick, SRF und Le Monde, berichteten über Jared Muralt, der in seiner Comic-Reihe «The Fall» mit einem Grippevirus die Apokalypse über Bern gebracht hatte – und dies Jahre vor der Corona-Pandemie.

Ausnahmezustand in Bern

In seinem Comic «The Fall» bringen ein Grippevirus und ein wirtschaftlicher Kollaps den Ausnahmezustand über die Schweiz. Obwohl im ersten Teil des Bandes die Stadt Bern nicht direkt benannt wird, sind diverse Orte auf den ersten Blick erkennbar: das Inselspital, die Hochhäuser in Bümpliz oder die Laupenstrasse zwischen Kocherpark und Hirschengraben. Erst mit dem zweiten Band wurde die Ortschaft dann konkret benannt – nach internen Besprechungen und Zusprachen der Leserschaft. Später zieht es die Protagonisten weiter ins Berner Oberland, wo sie beispielsweise auf das ikonische Dampfschiff «Blüemlisalp» treffen.

Doch die Pandemie ist in der Geschichte eher Nebensache: «Es ist auch eine Kritik an der Wohlstandsgesellschaft», sagt Muralt. «Es soll zeigen, worum es wirklich geht: das Zwischenmenschliche. Wir sind zusammen hier und im Innersten wollen wir alle dasselbe.»

Stark gestiegene Verkaufszahlen

2015 begann Jared Muralt mit dem Comic – unter anderem inspiriert vom Ausbruch des Ebolafiebers in Afrika. Seit 2018 lebt er vom Comicbuchschreiben. Vor der Pandemie sei er noch mit Kopfhörern durch die Stadt gelaufen und habe sich vorgestellt, wie es wohl menschenleer aussehen würde. Und plötzlich wurde die Situation immer realer. Spätestens mit den ersten Coronafällen in Italien habe er selbst Parallelen zwischen seinem Comic und der echten Welt gesehen. Dazu kommt noch: Kurz vor dem Lockdown wurde in Frankreich der zweite Band veröffentlicht. Perfektes Timing. Darauf wurden auch die Medien schnell aufmerksam.

«Ich wurde mega überrumpelt, aber es war schon cool», sagt Jared Muralt. «Es war ein ziemliches High und hat auch fürs Schaffen einen mega Boost gegeben. Die Verkaufszahlen sind extrem gestiegen.» Früher sei der Onlineshop im Zentrum gestanden, da Muralt die Comics selbst vertreibt. Doch schon bald hätten Buchhandlungen und das Buchzentrum angeklopft – er musste auch schon mehrmals nachdrucken. Mittlerweile ist der französische Comic die bestverkaufte Version, dicht gefolgt von der deutschen Auflage.

Seine Bekanntheit, oder zumindest die seines Comics und seiner Illustrationen – auf Instagram folgen dem Berner fast 170'000 Personen – führt auch zu lustigen Begegnungen. Einmal habe ein Tourist das Blackyard Studio betreten und sich gefreut, dass dort Werke von Jared Muralt ausgestellt sind. Zum Erstaunen des Mannes habe ihm dann Muralt erklärt, dass er das selbst sei.

«Meine Geschichte hat nichts mehr mit Corona zu tun»

Heute ist Corona bei der Schweizer Bevölkerung kaum noch ein Thema. Ist das Interesse nach der Pandemie abgeflacht? «Es war wie eine Welle, aber die Leute, die mich durch die Pandemie entdeckt haben und sich dafür interessieren, kaufen auch jetzt noch meine Bücher, sagt der 41-Jährige. Doch profitiert er weiterhin von seiner Medienpräsenz während der Pandemie: «Der Hype ist zwar durch, aber meiner Bekanntheit als Comicbuchautor und -zeichner hat es sehr gedient und mich platziert – und auf diesem Platz bin ich immer noch.»

Quelle: TeleBärn

Und was für einen Einfluss hatte die Pandemie auf die Arbeit? «Es sind eher kleine Details», sagt der Künstler. Muralt erinnert sich etwa an Männer-WCs während der Pandemie, als jedes zweite Pissoir abgeklebt war. «Solche visuellen Eindrücke nehme ich auf und verwende ich», sagt der Berner.

Auch seine Bücher haben sich weiterentwickelt. «Für mich hat meine Geschichte eigentlich nichts mehr mit Corona zu tun», so Muralt. «Es geht nicht mehr um die Pandemie, sondern um das, was danach passiert. Für mich stand die Pandemie nur im ersten Band im Fokus.» Langweilig scheint dem Berner mit seinem Comic noch nicht geworden zu sein. «Dadurch, dass ich viele Sachen auch offen lasse, kann ich die Charaktere auch mit mir wachsen lassen und Sachen, die mich interessieren, einbauen», erklärt Muralt. Er zeichnet den Comic nicht nur selbst, sondern schreibt auch die Geschichte dazu.

Und Muralts Arbeit zählt sich aus, was nicht nur an den Verkaufszahlen des Comics ersichtlich ist. 2021 zeichnete die Stadt Bern Jared Muralt mit einer literarischen Auszeichnung, dem Stipendium «Weiterschreiben», aus. «Es ist mega cool, dass die Stadt Bern nicht nur dem strengen Literaturzirkel Beachtung schenkt. Das spricht auch dafür, dass Comics ernster genommen werden.»

Von Sci-Fi-Parallelwelten und Genozid-Biografien

Aktuell macht der Berner aber eine Pause mit der «The Fall»-Reihe, die ihn so bekannt gemacht hat. Ende 2022 erschien der bisher letzte Teil, das Sammelband 3 (mit den Kapitel 7 bis 9). Damit sei die Halbzeit erreicht, wie der Comiczeichner erklärt. Doch bevor die nächsten drei Bände folgen, in welchen jeweils zwei Jahre Arbeit stecken, widmet er sich anderen Projekten. Vorne dabei: «Buglands», eine von Muralt geschaffene dystopische Science-Fiction-Welt mit riesigen Insekten, das auch in einer Art Paralleluniversum spielt, wie der Künstler verrät. Er rechnet damit, dass das neue Buch Ende Jahr oder im Frühling 2024 erscheint.

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Ein weiteres spannendes Projekt, das der Künstler in Angriff nimmt, ist die Biografie einer Überlebenden des Jugoslawienkrieges. In Zusammenarbeit mit einer kanadischen Menschenrechtsorganisation wird er das Leben der Roma in Schrift und Bildern festhalten. Auch hier rechnet Jared Muralt mit einer Veröffentlichung im nächsten Jahr.

Doch beides ist aktuell noch Zukunftsmusik – noch müssen zahlreiche Seiten illustriert und koloriert werden. Und genau das macht Muralt zurzeit. Im Blackyard-Studio in der Nähe der Untertorbrücke arbeitet er also konzentriert weiter an seiner nächsten «Buglands»-Illustration, umgeben von Star-Wars-Figuren und zahlreichen Comicbänden. Teilweise vergisst er dabei alles um sich herum.

veröffentlicht: 26. August 2023 17:06
aktualisiert: 26. August 2023 17:06
Quelle: BärnToday

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