Bern

Das musst du zur Grimsel-Debatte wissen

Stausee-Erhöhung

Das musst du zur Grimsel-Debatte wissen

· Online seit 30.09.2022, 14:08 Uhr
Der Grimsel-Stausee soll um 23 Meter erhöht werden, doch darunter würde die Natur im Grimselgebiet stark leiden. Das Parlament will den Bau jedoch per Notgesetz ermöglichen, bis zum Baubeginn kann es aber noch einige Jahre dauern.
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Die alte Staumauer am Grimselsee wird derzeit mit einer neuen Staumauer ersetzt. Diese soll gleich hoch werden wie die Alte, rund 50 Meter davon sind schon gebaut. Für Nationalrat Albert Rösti (SVP) ist das die perfekte Gelegenheit eine umstrittene Erhöhung der Staumauer in der Politik durchzubringen. Er will, dass die Spitallamm-Staumauer um 23 Meter höher wird als geplant.

Die Thematik polarisiert seit Jahrzehnten und landete sogar vor dem Bundesgericht. Ein grösserer Grimsel-Stausee könnte für mehr Energiesicherheit in der Schweiz sorgen, dies aber auf Kosten der Natur, die im Grimselgebiet eigentlich geschützt ist.

So hat das Parlament entschieden

Als indirekten Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative hat der Ständerat die sogenannte Solar-Offensive erarbeitet. Ein Gesetzesentwurf, der ermöglichen soll, dass die Schweiz mehr Strom produziert. Konkret sollen dabei die Bewilligungsverfahren von Solar-Grossanlagen deutlich erleichtert werden. Die Umwelt-und Energiekommission des Nationalrats teilt diese Interessen. Der Rat nahm einige Änderungen zu Gunsten der Natur vor und prüfte die Vorlage auf ihre Verfassungsmässigkeit.

Im letzten Moment kam der «Grimsel-Paragraf» hinzu, hierbei war SVP-Rösti federführend. Die Ergänzung des Gesetzes soll ermöglichen, dass das Projekt vorangetrieben wird und die laufenden Bauarbeiten als Sprungbrett für die Erhöhung genutzt werden könnten.

Quelle: BärnToday / Anissa Perumbuli & Warner Nattiel

Am Montag wurde es vom Nationalrat mit 149 zu 17 Stimmen (bei 26 Enthaltungen) angenommen. Am Dienstag stimmte auch der Ständerat zu. Das Gesetz wurde für dringlich erklärt und am Freitag kam es bei der Schlussabstimmung zu einem Ja. Damit wird es Anfang Oktober in Kraft treten.

Die Mauer soll anstatt der geplanten 113 Meter 136 Meter hoch werden. Damit würde das Wasser im See und auch die Stromproduktion deutlich vergrössert – um ganze 75 Prozent. Dies auf Kosten der Natur um den See. Die Bauzeit würde mehrere Jahre dauern – das bedeutet, das Projekt kann beim drohenden Energiemangel keine Abhilfe schaffen.

Der SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi sagte im Rat deutlich, dass er die Vorlage für verfassungswidrig halte. Er steht nicht hinter seinem Parteikollegen Albert Rösti. Bundesrätin Simonetta Sommaruga (SP) habe am Dienstagmorgen die Räte für einen Kompromiss gelobt, «mit dem alle leben können», wie die «Berner Zeitung» und «Der Bund» berichten.

Eine schleppende Debatte

2020 kam die Grimsel-Staumauererhöhung vor das Bundesgericht. Zwei Naturschutzorganisationen hatten Beschwerden eingereicht. Diese wurden gutgeheissen: Der Kanton Bern, der eine Erhöhung befürwortet, wurde damit beauftragt die Mauererhöhung im kantonalen Richtplan einzutragen. Mit diesem Urteil wurde auch die bereits 2012 erteilte Konzession rückgängig gemacht. Eine Baubewilligung steht aus. Im Juni 2022 wurde die Richtplan-Anpassung in die öffentliche Mitwirkung geschickt.

Inzwischen hätten auch Umweltverbänden für das Grimselsee-Projekt Verständnis, wie «Blick» berichtet. Die Betreiberin Kraftwerke Oberhasli (KWO) habe WWF, Pro Natura und den Berner Fischereiverband eingebunden. Der Eingriff in die Natur lasse sich mit der zusätzlichen Stromproduktion rechtfertigen, auch weil der Umweltschutz anderswo kompensiert wird. Man werde sich nicht gegen das Projekt stellen, heisst es beim WWF auf Anfrage von «Blick».

Das Verhältnis zwischen dem Bundesgerichtsentscheid und dem neuen Gesetz sorgt aber bei den Staumauer-Gegnern, dem Grimselverein, für Unmut. Die vertiefte Interessenabwägung, die das Bundesgericht explizit gefordert habe, werde mit dem dringlichen Bundesgesetz ausgehebelt, sagt Nick Röllin, Präsident Grimselverein, gegenüber der «Berner Zeitung» und «Der Bund». Er sagt deutlich: «Dass National- und Ständerat auf diese Weise in ein juristisches Verfahren eingreifen, halte ich für äusserst fragwürdig.»

In einer Mitteilung schreibt der Grimselverein, dass die Landschaft um den Grimselsee zu den am besten geschützen in der Schweiz gehöre. Der Verein spricht von einem «schwarzen Tag für die Grimsel» und prangert gleichzeitig die Wasserkraftlobby an. «Da die Wasserwirtschaft mit ihrer starken Lobby im Parlament nicht mehr warten mag, hat sie nun mit dem Brecheisen eine politische Lösung erzwungen». SVP-Nationalrat Albert Rösti, der sich stark für den Grimsel-Paragraf einsetzte, ist gleichzeitig Präsident des Schweizerischer Wasserwirtschaftsverbands.

Bis es zum Bau kommt, dauert es lange

Auch wenn das Bewilligungsverfahren erleichtert wird, ist der Weg bis zum Baubeginn lang. Die KWO gehen derzeit davon aus, dass es für die Erhöhung der beiden Staumauern nochmals eine rechtskräftige Konzession und Baubewilligung braucht.

Gegenüber der «Berner Zeitung» und «Der Bund» sagte KWO, dass diese Verfahren aus Erfahrung viel Zeit in Anspruch nehmen würden. Ein Zeitplan für den Baubeginn wollte das Unternehmen nicht mitteilen. Die geplanten Bauarbeiten an der Spitallamm-Mauer würden allerdings bis 2025 dauern. Vorher ist also nicht mit einer Erhöhung zu rechnen.

veröffentlicht: 30. September 2022 14:08
aktualisiert: 30. September 2022 14:08
Quelle: BärnToday

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