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Adrian Vatter: «Rückkehr zur harten Politik hat Wahlkampf bestimmt»

Wahlausgang in Bern

Adrian Vatter: «Rückkehr zur harten Politik hat Wahlkampf bestimmt»

23.10.2023, 10:00 Uhr
· Online seit 23.10.2023, 05:44 Uhr
Die Ständeratswahl geht in die zweite Runde. Beim Nationalrat kommt es zu Verschiebungen, weshalb und was das bedeutet, erklärt Adrian Vatter, Professor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern.

Quelle: TeleBärn / BärnToday

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TeleBärn: Flavia Wasserfallen hat im ersten Wahlgang mehr Stimmen geholt als Werner Salzmann, der bereits seit vier Jahren im Ständerat sitzt. Hat Sie das überrascht?

Adrian Vatter: Ja, das ist schon eine Überraschung, dass in einem bisher bürgerlich dominierten Kanton eine SP-Kandidatin so viele Stimmen holt, mehr als der Vertreter der grössten Partei, der SVP. Allerdings hatten wir schon in früheren Jahren bei Ständeratswahlen die Situation, dass eine SP-Kandidatin gleich im ersten Wahlgang gewählt wurde, etwa mit Simonetta Sommaruga.

Wie ist die Ausgangslage für Wasserfallen und Salzmann für den 19. November?

Die ist eigentlich sehr gut, denn der Abstand zu den Dritt- und Viertplatzierten, auch im eigenen Lager, ist sehr gross. Es wird jetzt aber tatsächlich eine Art Blockwahlkampf geben und eine Auseinandersetzung zwischen Rot, Grün und den Bürgerlichen. Ich gehe davon aus, dass in beiden Lagern die durchaus gut Dritt- und Viertplatzierten noch einmal antreten werden. So hat man eine Auswahl für die Bürgerinnen und Bürger im Kanton Bern. Sie können entscheiden, ob sie nun eine rot-grüne oder am Ende eine bürgerliche Vertretung im Ständerat haben wollen.

Erwarten Sie beim zweiten Wahlgang in etwa dieselbe Reihenfolge beim Stimmenanteil?

Jetzt sind die Parteistrategen gefragt. Mit zwei Kandidaten aus dem einen und dem anderen Lager antreten, was die Gefahr beinhaltet, dass man die Stimmen aufsplittet – oder mit einer Kandidatur? Doch dann lässt man eine Zeile frei und stellt sie dem anderen Lager quasi zur Verfügung. Das sind die taktischen Gespräche, die nun in beiden Lagern stattfinden müssen. Verschiedene Szenarien sind vorstellbar. Wenn ich das Resultat anschaue, ist es eindeutig: Eigentlich müsste auch in einem zweiten Wahlgang – unabhängig davon, ob man allein oder zu zweit kommt – zur gleichen Reihenfolge oder zumindest zu denselben Erstplatzierten kommen.

Bei den Nationalratswahlen gewinnt die SVP in Bern einen Sitz – war das absehbar?

Dieses Resultat aus dem Kanton Bern ist durchaus ein Spiegelbild der nationalen Ergebnisse. Es zeigt, dass die SVP stark zulegen konnte. Sie ist die Wahlsiegerin. Das heisst: Wir sehen wieder eine Zunahme wie beim Resultat von 2015. Gerade mit ihrem Thema Zuwanderung respektive Migrationspolitik hat sie noch einmal richtig Erfolg gehabt und konnte ihre Basis mobilisieren.

Die Berner Grünen verlieren einen ihrer vier Sitze – ein Rückschlag für die Klimapartei?

Ja, und auch da haben wir wiederum ein Spiegelbild des nationalen Trends, wonach die Grünen auch in anderen Kantonen verlieren. Das ist Ausdruck davon, dass wir vor vier Jahren mit der Klimawahl eine einzigartige Situation hatten. Dieses Thema löste eine Dynamik aus, die wir heute nicht mehr haben. Wir hatten diesmal andere Themen sozialer, sicherheitspolitischer und ökonomischer Art, die eher dazu geführt haben, dass man innerhalb des rot-grünen Lagers die SP gewählt hat – oder vielleicht als grüner Wählender gar nicht erst an die Urne gegangen ist.

Im Kanton Bern lag die Wahlbeteiligung mit knapp über 50 Prozent leicht höher als im gesamtschweizerischen Schnitt und höher als 2019. Ist das ein gutes Zeichen?

Im internationalen Vergleich ist das immer noch sehr schlecht, aber aus einer schweizerischen Perspektive, wenn man die letzten Jahre anschaut, sind 50 Prozent an und für sich ein gutes Resultat. Das heisst, dass man doch mehr Wählerinnen und Wähler mobilisieren konnte. Die Frage ist, wieso ist die andere Hälfte zuhause geblieben? Wen hätten sie gewählt?

Untersuchungen zeigen, dass in der Schweiz das Fernbleiben eher ein Ausdruck der Zufriedenheit, nicht der Unzufriedenheit ist. Die Leute gehen oft nicht an die Urne, wenn sie finden, «die Verhältnisse sind ja gar nicht so schlecht». Und es gehen vor allem jene an die Urne, die besser informiert sind und sich intensiver mit den Wahlunterlagen befasst haben. Bei einer Beteiligung von 50 Prozent, wie sie diesmal der Fall war, sieht man auch, dass die etablierten, traditionellen, grossen Parteien wie die SVP und die SP profitieren.

2019 sprach man von einer Klimawahl. Was ist diesmal besonders herausgestochen?

Es gibt für mich eine gemeinsame Klammer: «Die Rückkehr zur harten Politik.» Es gibt sogenannte harte Politikthemen. Dazu gehören Verteidigung, Sicherheit, Aussenpolitik und auch Wirtschaftsthemen. Das sind Themen, die diesen Wahlkampf dominiert und bestimmt haben.

(ceg)

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veröffentlicht: 23. Oktober 2023 05:44
aktualisiert: 23. Oktober 2023 10:00
Quelle: BärnToday

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