Polizeigewalt

«Es war eine düstere Atmosphäre»: So erlebte eine Bernerin das Wochenende in Paris

03.07.2023, 20:32 Uhr
· Online seit 03.07.2023, 19:06 Uhr
Die Unruhen in Paris nach dem Tod des 17-jährigen Nahel scheinen langsam abzuflachen. Eine Bernerin war von Samstag bis Montag in einem Vorort, 30 Minuten von Nanterre entfernt. Überall, wo man hingehe, sprechen die Leute über das Thema, erzählt sie, und die Nacht sei «wie 5 Uhr Morgens nach dem Ausgang».
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Im Nachtbus von Bern nach Paris schlief Monika. Sie wachte auf, als der Bus am Samstagmorgen um 6 Uhr im Pariser Viertel Saint-Ouen ankam. Der Ort ist eine 30-minütige Fahrt von Nanterre entfernt, wo der 17-jährige Nahel am vergangenen Dienstag von einem Polizisten erschossen wurde. Seitdem kommt es in ganz Frankreich zu Ausschreitungen.

«Mir fiel nur auf, dass es mehr Menschen auf der Strasse hatte als sonst, sie verhielten sich aber alle ruhig», sagt Monika. «Und der Busfahrer sagte uns noch, dass er einen Umweg machen musste, weil einige Strassen gesperrt waren.» Monika heisst anders, möchte für den Bericht aber anonym bleiben. Sie wohnt im Kanton Bern, ist 30, Coiffeuse und hat einen Freund in Paris. Sie besuchte Saint-Ouen von Samstag bis Montag für ein verlängertes Wochenende.

Monika wusste von den Unruhen in Frankreich, als sie sich auf den Weg machte. Deshalb nicht zu gehen, habe sie sich nie überlegt. «Ich hatte keine Angst», sagt sie. «Und ausserdem hatte ich ein anderes Ziel.»

Nämlich, mit ihrem Freund Zeit zu verbringen. Monikas Freund wohnt am anderen Ende von Paris. Für das gemeinsame Wochenende nahmen sie sich aber ein Hotelzimmer in Saint-Ouen. «Er sagte mir am Anfang: ‹Wir können nach 21 Uhr einfach nicht mehr raus, weil dann fangen die Leute an, Dinge kaputtzumachen.›» Ansonsten hätte auch er sich nicht grosse Sorgen gemacht.

In der Nacht wie nach dem Ausgang

Ab 21 Uhr fuhren in diesen Tagen auch jeweils keine Busse und Trams mehr. Monika beobachtete nie direkt, wie jemand etwas anzündete oder zerstörte. «Wir blieben Abends auch zu Hause, deswegen bekamen wir es nicht so mit», sagt sie. Gehört habe sie vor allem, dass Leute auf der Strasse redeten. «Man kann es sich ein bisschen vorstellen, wie um 5 Uhr morgens nach dem Ausgang: Manche reden, manche hören Musik, manche sind angetrunken», sagt sie.

Durch den Tag sah sie dann die Auswirkungen der Unruhen: «Ich habe gesehen, wie verbrannte Autos weggebracht wurden. Und viele Läden hatten geschlossen.» Ein Schneider, zu dem ihr Freund geht, brachte seine alte Bernina-Nähmaschine bei sich zu Hause in Sicherheit, aus Angst vor einem Einbruch in seinen Laden. Tatsächlich wurden in diesem über das Wochenende Dinge beschädigt.

«Es geht gar nicht mehr um Polizeigewalt»

Durch den Tag sei es ruhiger gewesen. Wenn Monika und ihr Freund draussen waren, bekamen sie vor allem mit, wie Leute in Saint-Ouen über die Situation denken: «Wir redeten mit Uber-Fahrern. Die meisten haben Verständnis für die Wut der Leute, finden es aber nicht gut, dass wahllos Läden und Autos zerstört werden und darunter Leute leiden, die nichts dafür können.» Auch die Fahrer selbst konnten in einigen Zonen nicht mehr fahren, weil dort ein zu grosses Chaos herrschte.

Ähnliches sei auch im Salon gesagt worden, in dem sich die Bernerin am Samstag die Nägel machen liess. «Es geht bei den Gesprächen gar nicht mehr um Polizeigewalt und den Tod von Nahel, sondern nur noch um die Unruhen», sagt sie.

Überall, wo man hingehe, würden die Leute über das Thema reden. Dadurch habe man die Präsenz der Unruhen auch durch den Tag gespürt. «Es war eine düstere Atmosphäre mit einer merkwürdigen Aura», sagt Monika. Sie habe die Zeit mit ihrem Freund aber genossen. Auch ihn beschäftige das Thema, glaubt sie, er zeige seine Emotionen aber nicht so stark.

Monika hat gemischte Gefühle zur Situation. «Ich finde es gut, dass sich die Leute wehren, weil Polizeigewalt gegen Ausländer in Frankreich schon lange ein Problem ist und man mit normalen Demonstrationen schwer Aufmerksamkeit bekommt», sagt sie. «Aber ich finde es schlimm, dass deswegen Existenzen zerstört werden. Vielleicht sollte man nur staatlichen Besitz zerstören und keinen Privaten.»

Auf den Strassen weniger los

Während der Beerdigung von Nahel am Samstag sei alles ruhig gewesen. In der Nacht von Sonntag auf Montag gab es in ganz Frankreich 157 Festnahmen, deutlich weniger als in vergangenen Nächten, wo es teilweise mehrere tausend waren. Auch sie habe das Gefühl, auf den Strassen sei nun weniger los, sagt Monika. Nachdem sie nicht wie geplant abreisen konnte, weil die Züge aufgrund der Unruhen nicht fuhren, kehrt sie am Montagabend nach Bern zurück.

Monika glaubt nicht, dass die Proteste gegen Polizeigewalt auch auf Bern überschnappen könnten, wie es am Samstag in Lausanne passiert ist. «Ich glaube, die Berner sind da zu ruhig», sagt sie. Würde es jedoch trotzdem passieren, wäre sie bei Demonstrationen «mittendrin» – aber etwas kaputtmachen würde sie nicht.

veröffentlicht: 3. Juli 2023 19:06
aktualisiert: 3. Juli 2023 20:32
Quelle: BärnToday

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