Bühnen Bern

«Das Publikum hat uns die Treue gehalten»

· Online seit 30.12.2022, 12:49 Uhr
Bühnen Bern hat ein bewegtes Jahr hinter sich: Im April darf das Theater nach Corona-Restriktionen wieder öffnen, im September werden Missbrauchsvorwürfe des Ballett-Probenleiters laut. Nun lässt Intendant Florian Scholz im Interview 2022 Revue passieren – und wagt einen Ausblick auf das kommende Jahr.
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BärnToday: Wenn Sie an das Jahr 2022 denken, was kommen Ihnen für Bilder und Gedanken in den Sinn?

Florian Scholz: Es war ein Jahr des Übergangs, von einer schwierigen Zeit der Pandemie, die uns ja zwei Jahre lang fest am Schopf hatte. Diese Pandemie ist dann ausgeklungen und hat uns wieder mehr Freiheit für ein Leben gelassen, wie wir es vor Corona kannten. Insofern ist es ein Jahr, an das ich gerne zurückdenke, weil es wieder eine Zeit der Normalität gebracht hat.

Gibt es Highlights, an die Sie besonders gerne zurückdenken?

Wir haben nach der Sommerpause sehr gespannt darauf gewartet, ob das Publikum wieder zurückkommen wird. Wir haben mit der «Zauberflöte» eröffnet und das Publikum ist sehr zahlreich gekommen. Die Aufführungen waren in kürzester Zeit ausverkauft. Auch unsere zweite Oper «Guillaume Tell» von Rossini hat viel Publikum angezogen. Es war schön, zu merken, dass das Publikum nach wie vor grosse Lust auf Theater hat.

Hatten Sie Angst, dass dem Publikum diese Lust nach Corona etwas vergangen ist?

Man wusste es nicht. Es war eine vollkommen unbekannte Situation. Es gab viele Prognosen, dass vielleicht überhaupt niemand mehr rausgeht und alle nur noch vor dem Fernseher sitzen. Es war eine aufregende Zeit und dass es jetzt so gut weitergeht, ist einfach ein grosser Glücksmoment für uns.

Gibt es Dinge, wo Sie denken «das hätten wir anders machen müssen» oder «dieses Stück wäre vielleicht anders besser gelaufen»?

Natürlich ist man hinterher immer schlauer. Als die Theater am 1. April wieder voll aufmachen durften, hatte das Publikum sehr grosse Lust auf Dinge, die schön, heiter und leicht sind, um die Schwere der vergangenen Monate etwas abzuschütteln. Wenn ich noch einmal neu programmieren dürfte, würde ich in diese Zeit hinein mehr Komödien setzen. Wir hatten da eher schwierige, traurige Werke wie «I Capuleti e i Montecchi», eine zwar sehr schöne, berührende, aber doch etwas düstere «Romeo und Julia»-Geschichte. Das waren nochmals Zeiten der Herausforderung. Das Publikum durfte wieder kommen, hat aber etwas gezögert. Es hat die Sommerferien gebraucht, damit die Leute danach wieder sehr zahlreich zu uns gekommen sind. Das waren Zeiten, in denen wir gekämpft und darauf gewartet haben, wie es weitergeht.

Es ist ja allgemein bekannt, dass das Theater auch durch eine öffentliche Krise hindurchgegangen ist. Wir hatten eine grosse Verunsicherung im Haus, weil ein Fall von Grenzüberschreitung stattgefunden hat, dem wir uns auch öffentlich stellen wollten. Das waren mit Sicherheit schwierigere Momente in dieser Spielzeit.

Wie fest überschattet dieser Vorfall das vergangene Jahr?

Es war ein sehr wichtiger Vorgang für uns. Wir haben immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass wir uns als lernende Institution begreifen. Es war ein Vorfall, der auch für die Weiterentwicklung unserer gesamten Struktur wichtig war. Wir sind ein grosser Betrieb mit 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, hier gibt es wie wahrscheinlich in jedem Betrieb der Welt immer wieder Konflikte. Die Frage ist, wie man damit umgeht. Da haben wir gemerkt, dass es bei uns Lernbedarf gibt. Es war wertvoll, aber auch schmerzhaft für uns und es gab mit Sicherheit keine Gewinner. Einerseits hatten wir die öffentliche Aufmerksamkeit wegen diesem schwierigen Fall, aber andererseits hatten wir ein Publikum, das uns die Treue gehalten hat, Vertrauen in uns gehabt hat und auch sehr zahlreich gekommen ist. Es hing ein dunkler Schatten über uns, aber es gab auch Licht am Horizont.

Von was für einem Publikum reden wir da? Was spricht das Berner Publikum besonders an?

Wir fühlen uns allen Bernerinnen und Bernern verpflichtet und versuchen, ein breites Programm anzubieten. Wir haben Stücke für Kleinkinder und dann durch alle Altersgruppen hindurch. Programmatisch geht es vom intellektuell Herausfordernden bis hin zur leichteren Muse und der Komödie. Deshalb würde ich sagen, dass unser Publikum breit aufgestellt ist. Wir wenden uns an viele verschiedene Menschen und ich habe das Gefühl, dass das gut angenommen wird. Weltweit, nicht nur in Bern, kann man feststellen, dass die Menschen momentan sehr viel Lust haben, einfach mal die Seele baumeln zu lassen und zu geniessen. Ein Theater, das sich mit schwierigen und herausfordernden Themen beschäftigen möchte, hat es im Moment etwas schwieriger. Es geht also um die richtige Balance.

Was wird 2023 für ein Jahr für Bühnen Bern?

Wir versuchen ja, den gesamten «Ring des Nibelungen» auf die Bühne zu bringen. Da gibt es den zweiten Teil «Die Walküre». Wir sind gespannt, wie es da weitergeht. Es gibt auch im Schauspiel einige Klassiker, auf die ich mich sehr freue wie «Ein Volksfeind» von Henrik Ibsen oder «Die Räuber» von Friedrich Schiller. Dann gibt es die Komödie «Grand Horizons», da geht es darum, dem Älterwerden mit Humor zu begegnen. Ausserdem gibt es im Ballett einen tollen neuen Dreiteiler, «Bach Recomposed». Natürlich darf man auch das Berner Symphonieorchester nicht vergessen, wo jetzt noch einige sehr schöne Konzerte kommen. Beispielsweise «Beethovens Neunte» am 1. und 2. Januar mit unserem Opern-Chefdirigenten Nicholas Carter.

Gehen Sie als Intendant in Ihrer Freizeit gerne in anderen Städten ins Theater oder brauchen sie auch mal etwas Abstand davon?

Mein Beruf deckt sich mit dem, was ich im Leben am liebsten tue, nämlich mich mit Theater zu befassen. Ich sitze ständig in anderen Theatern. Übermorgen bin ich beispielsweise in der Oper in Zürich, worauf ich mich sehr freue, und Anfang Januar bin ich im Schauspielhaus in Zürich. Das interessiert mich schon auch sehr. Natürlich schöpft man auch für die eigene Arbeit etwas daraus und es inspiriert, man lässt sich davon vielleicht auch leiten. Irgendwie prägt einen ja doch, was die anderen machen.

veröffentlicht: 30. Dezember 2022 12:49
aktualisiert: 30. Dezember 2022 12:49
Quelle: BärnToday

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