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Künstliche Intelligenz: Amir Tabakovic von der Berner Fachhochschule zum neuen Studiengang

Experte ordnet ein

«KI wird alle Bereiche unseres Alltags verändern»

· Online seit 03.09.2023, 07:41 Uhr
Spätestens seit dem Boom des Chatbots ChatGPT ist das Thema Künstliche Intelligenz (KI) in aller Munde. Amir Tabakovic leitet das CAS Artificial Intelligence for Business an der Berner Fachhochschule. Im Interview erklärt er, wie KI neue Jobs schafft und was man bei der Nutzung von KI-Tools beachten sollte.
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BärnToday: Sie leiten das CAS Artificial Intelligence (Künstliche Intelligenz, kurz KI) for Business an der Berner Fachhochschule. Für Laien erklärt: Was ist der Inhalt dieses Studiengangs?

Amir Tabakovic: Er ermöglicht Führungskräften ohne technischen Hintergrund, das Potenzial von KI im Geschäft zu erfassen. Zu unserer Zielgruppe gehören Fachexperten aus verschiedenen Bereichen, die mit dem im CAS erworbenen Wissen in der Lage sind, mit den KI-Experten in ihrem Unternehmen auf Augenhöhe zu reden. Wir arbeiten im Sinne von «Probieren geht über Studieren». Die Studierenden erstellen sogar KI-Modelle, mithilfe von Machine Learning Tools. Wir beziehen aktuelle KI-Fallstudien aus verschiedenen Branchen – das bildet den Kern unseres CAS. Wir müssen jedes Jahr neue KI-Entwicklungen berücksichtigen. Das letzte Beispiel dafür ist die explosionsartige Verbreitung von generativer künstlicher Intelligenz und praktischen KI-Anwendungen wie ChatGPT oder Midjourney.

Seit wann gibt es diesen Studiengang an der BFH und wie gross ist das Interesse bei den Leuten?

Wir haben im Herbst 2021 gestartet. Das Interesse ist stetig wachsend. Die Anmeldungen für nächsten Herbst sind stark gestiegen und es sind nur noch wenige freie Plätze übrig. Einen Teil dieses Interesses verdanken wir wahrscheinlich dem Hype um die generative künstliche Intelligenz und ChatGPT.

Was sind Ihrer Meinung nach die Chancen der künstlichen Intelligenz?

Die künstliche Intelligenz wird alle Bereiche unseres Alltags und unserer Arbeit verändern. Wir werden bessere Entscheidungen treffen und viele Tätigkeiten automatisieren können. Die Veränderung wird aber nicht von heute auf morgen stattfinden. In gewissen Bereichen verändern sich die Arbeitsweisen bereits heute, beispielsweise in der Software-Entwicklung, im Grafikdesign oder in der Kreation von Medien-Inhalten. Da steigt die Produktivität dank KI stark an. In anderen Berufsgruppen wird es vielleicht etwas länger gehen, bis die Vorteile von KI in vollem Umfang genutzt werden können. Wir stehen am Anfang einer KI-Revolution, die unsere Gesellschaft stark verändern wird.

Was halten Sie davon, KI-Tools wie ChatGPT bei der Arbeit einzusetzen?

Mit ChatGPT werden Textinhalte erstellt. Es gibt verschiedene Probleme, die damit zusammenhängen. ChatGPT ist weniger intelligent, als wir meinen. Zum einen versucht ein solches Sprachmodell im Grunde, einfach ein nächstes Wort vorauszusagen. Oft kommt das gut, aber wenn es um Fachwissen geht, erstellen solche Sprachmodelle Halluzinationen, die zwar gut tönen, aber total falsche Informationen beinhalten. Zum anderen muss man aufpassen, welche Informationen man selber freigibt. Man muss sich bewusstwerden, dass diese Informationen mit dem Ersteller der Anwendung, im Fall von ChatGPT ist das «OpenAI», geteilt werden. Wenn persönliche Informationen geteilt werden, hat das gewisse Konsequenzen für den Datenschutz.  Da muss man vorsichtig sein. Ich nutze ChatGPT täglich und betrachte eine solche Anwendung als Junior Assistant – also als jemanden, dem ich einen Auftrag gebe, bei dem ich genau weiss, wie ich es selber machen würde, ich mir aber die Zeit für diesen Auftrag sparen will. Das Resultat muss kritisch beurteilt und wenn nötig angepasst werden können. Wenn keine kritischen Informationen geteilt werden, finde ich die Nutzung solcher Applikationen nicht problematisch.

Was sind die Gefahren von künstlicher Intelligenz?

Es gibt ja diese «Terminator»-Szenarien, die besagen, dass KI uns als menschliche Rasse auf diesem Planeten ersetzen wird. Das finde ich kurz- bis mittelfristig völlig unrealistisch. KI ist ein Werkzeug und kann sowohl für Gutes als auch für Schlechtes verwendet werden. Wenn künstliche Intelligenz absichtlich mit böswilligen Absichten entwickelt wurde, kann sie Menschen manipulieren. Kriminelle könnten KI nutzen, um in IT-Systeme von Unternehmen einzudringen oder auf Bankkonten zuzugreifen. Bereits jetzt kann KI menschliche Stimmen so genau nachahmen, dass die biometrische Stimmerkennung von Banken überlistet werden könnte. In den Händen eines diktatorischen Regimes könnte KI für umfassende Überwachung missbraucht werden. Allerdings sollte man auch bei KI-Anwendungen, die mit guten Absichten entwickelt wurden, vorsichtig sein. Solche Systeme könnten unbeabsichtigt bestimmte Bevölkerungsgruppen diskriminieren, einfach weil die Diskriminierung in historischen Daten bereits vorhanden gewesen ist.

Es gibt Menschen, die wegen KI um ihren Job fürchten. Ist diese Angst in Ihren Augen berechtigt?

Die Art, wie wir arbeiten, wird durch KI sicher verändert. Ich stehe dem positiv gegenüber. Viele von uns erledigen täglich viele repetitive Handlungen, die wenig Kreativität und Intelligenz benötigen, aber trotzdem gemacht werden müssen. 80 Prozent unserer E-Mails könnten durch KI beantwortet werden. Viele Handlungen, die wir heute erledigen, könnten problemlos automatisiert werden, ohne dass dadurch Jobs ersetzt werden. Somit könnten wir uns sinnvolleren Tätigkeiten widmen. Ich sehe KI als Chance, um die Produktivität zu steigern. Menschen, deren Jobs bereits jetzt durch KI ersetzt werden, können sich mit Weiterbildungen in anderen Bereichen entfalten. Solche Wandlungen gab es im Arbeitsmarkt schon immer. Die industrielle Revolution hat in den letzten 150 Jahren mehrheitlich manuelle Jobs automatisiert. Jetzt, dank KI, sind hochqualifizierte Jobs dran.

Könnte es sogar sein, dass KI mehr Jobs schafft als vernichtet?

Ja. KI-Applikationen basieren auf qualitativ hochwertigen historischen Daten. Dort, wo noch keine Daten vorhanden sind oder diese eine schlechte Qualität aufweisen, müssen Menschen einspringen. Bei den Verbesserungen von ChatGPT kamen zum Beispiel Leute in Kenia und Indien zum Einsatz. Sie bewerten und erhöhen die Qualität der Antworten, welche KI generiert hat. Diese Jobs sind oft schlecht entlöhnt, psychisch anstrengend und überhaupt nicht so, wie wir uns KI-Jobs vorstellen. Selbstverständlich werden auch hochqualifizierte KI-Jobs entstehen und wir alle werden in unserem Alltag immer stärker von KI unterstützt.

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veröffentlicht: 3. September 2023 07:41
aktualisiert: 3. September 2023 07:41
Quelle: BärnToday

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