Demenz-Erkrankung

Alzheimer-Expertin: «Die Angehörigen müssen rund um die Uhr da sein»

21.09.2023, 19:11 Uhr
· Online seit 21.09.2023, 16:50 Uhr
Die Krankheit Alzheimer stellt das ganze Leben der Betroffenen und der Angehörigen auf den Kopf. Nadia Leuenberger, Leiterin der Geschäftsstelle von Alzheimer Solothurn, erklärt im Interview unter anderem, bei welchen Anzeichen man zum Arzt gehen sollte.
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Nadia Leuenberger, wie beeinflusst Alzheimer eine erkrankte Person?

Für die Erkrankten steht die Vergesslichkeit im Vordergrund. Bei den meisten Demenzerkrankungen kommen auch Verhaltensänderungen dazu. Betroffene werden vielleicht ungeduldiger, sind weniger belastbar und können den Alltag nicht mehr meistern.

Ist Alzheimer immer gleich stark oder gibt es Abstufungen?

Alzheimer verläuft immer schleichend. Es ist eine chronische Erkrankung, die nicht heilbar ist. Das Hirn wird immer abgebaut. Der Krankheitsverlauf ist aber individuell. Es ist entsprechend schwierig eine Prognose zu machen, wie lange eine Person eine bestimmte Fähigkeit behält.

Wie wird Alzheimer behandelt? 

Ich muss vorausschicken, dass es sich bei Alzheimer um eine von verschiedenen Formen von Demenz handelt. Es gibt dafür Medikamente, die den Verlauf verlangsamen, wenn man sie in einem frühen Stadium nimmt. Auch gibt es viele nicht medikamentöse Behandlungen, wie Physiotherapien und Ergotherapien mit Hilfestellungen, damit man den Haushalt bewältigen kann. Durch Psychotherapien wird zudem versucht, zu helfen, mit dieser Belastung umzugehen. Zudem gibt es eine Austauschstelle.

Die Krankheit ist unheilbar. Was ist der neuste Stand der Forschung?

Kürzlich wurde in den USA ein neues Medikament zugelassen. Dieses hilft den Verlauf zu verlangsamen. Es ist jedoch noch nicht klar, wann und ob das Medikament in der Schweiz zugelassen wird. Denn es ist mit starken Nebenwirkungen verbunden. In der Schweiz gibt es wenige Alzheimer-Medikamente. Bei gewissen Personen funktionieren sie gut, bei anderen weniger. Auch sie haben teilweise starke Nebenwirkungen.

Die meisten Alzheimerkranken sind ältere Menschen, aber es kann auch Jüngere treffen, oder?

Ja. Aber es ist relativ selten, dass Menschen unter 65 Alzheimer bekommen. Das Alter ist der grösste Faktor. Bei jüngeren Menschen weiss man, dass auch die Vererbung eine Rolle spielen kann, jedoch kann man bis heute nicht genau sagen, wo die Ursachen einer Demenzerkrankung liegen. Was man auch sagen kann: Mit einer gesunden Ernährung, sozialen Kontakten und viel Bewegung kann man vorbeugen. Ist man körperlich in gesundem Zustand, ist das Risiko kleiner, zu erkranken.

Wie merkt man, dass man Alzheimer haben könnte? Bei welchen Anzeichen sollte man zum Arzt?

Wenn man im Alltag merkt, dass man viele Namen und Termine vergisst und einem Menschen sagen, dass man anders reagiert als früher, dann sollte man sich eine Abklärung überlegen.

Alzheimer stellt das ganze Leben auf den Kopf. Was bedeutet der Krankheitsverlauf für die Angehörigen? 

Es ist wirklich schwierig für Angehörige, sobald die Krankheit weiter fortgeschritten ist. Am Anfang des Verlaufs brauchen Erkrankte punktuell Unterstützung, können aber noch Aufgaben selbst erledigen. Menschen mit fortgeschrittener Demenz brauchen jedoch 24 Stunden Betreuung, denn sie können den Alltag nicht mehr bewältigen. Viele verlieren die Orientierung und entwickeln einen grossen körperlichen Antrieb. Damit steigt die Gefahr, dass sie weglaufen. Auch kann es sein, dass sie nicht mehr in der Nacht schlafen können und sich ihre Ruhezeit damit auf den Tag verschiebt. Die Angehörigen müssen dann quasi rund um die Uhr an sieben Tage die Woche bei der erkrankten Person sein. Es ist also sehr anstrengend.

Wie hilft Alzheimer Solothurn den Betroffenen?

Wir haben eine Beratungsstelle. Betroffene können diese konsultieren, wenn sie Fragen zu Symptomen haben und wie sie mit diesen umgehen sollen. Wir beraten auch in rechtlichen Belangen. Es ist nämlich wichtig, sich bei einer Alzheimer-Erkrankung Gedanken über die Entscheidungen zu machen. Gerade, wenn man diese nicht mehr selber treffen kann.

Zudem haben wir eine Angehörigengruppe. Betroffene können sich dort austauschen, erhalten Verständnis und können sich gegenseitig Tipps geben. Im Kanton Solothurn sind übrigens 5110 Menschen von Demenz betroffen, wie Zahlen vom September zeigen. Man muss aber beachten: Rund die Hälfte der Erkrankten haben keine Diagnose. Entsprechend gibt es eine hohe Dunkelziffer.

Gibt es etwas, was jeder Einzelne tun kann, um Betroffenen zu helfen?

Es ist so, dass sowohl Angehörige als auch das Umfeld sich nicht vorstellen können, was es bedeutet, wenn jemand Alzheimer hat. Ein Angehöriger denkt vielleicht, eine Mutter, die innert kürzester Zeit sechs Mal anruft, tue dies nur aus Provokation. Da ist es wichtig, aufzuklären, dass die Mutter es wirklich nur tut, weil sie es vergessen hat. Im Umfeld gibt es immer wieder Kommentare, wieso ein Angehöriger klage. Der Mutter gehe es doch gut, weil man sie frisch geduscht und in schönen Kleidern gesehen habe. Es ist wichtig, dass das Umfeld Verständnis aufbringt und weiss, wie belastbar es ist.

veröffentlicht: 21. September 2023 16:50
aktualisiert: 21. September 2023 19:11
Quelle: 32Today

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